Universität Wien

170600 SE MA 1.1. "Inszenierungsformen und ästhetische Wahrnehmung" (2021S)

Smells like...? Olfaktorische Wahrnehmungen in Theater und Performance

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung
DIGITAL

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 30 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine

Die LV findet bis auf Weiteres DIGITAL statt!

Termine:

MITTWOCH ab 10.3.2021, 9:45-11:15


Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Die Pariser Premiere von "Sul Concetto di Volto del Figlio di Dio" (2011) der italienischen Socìetas Raffaello Sanzio unter der Regie von Romeo Castellucci mutierte zu einem der größten europäischen Theaterskandale der letzten Jahre. Die Empörung des Publikums entzündete sich am inkontinenten Protagonisten, der sich vor einem überdimensionalen Jesus-Porträt buchstäblich in die Hose machte. Überfordernd wirkte dabei aber nicht nur die visuelle Darstellung, sondern vor allem auch die olfaktorische Inszenierung. Castellucci ließ Fäkalgerüche im Zuschauerraum verbreiten und kreierte dadurch ein allumfassendes sensorielles Erlebnis, das viele vor den Kopf stieß. Tatsächlich wurde der Einsatz der Skandal induzierenden Geruchsmittel nach wenigen Aufführungen aus der Inszenierung gestrichen.
Castelluccis Arbeit scheint eine Zäsur zu markieren. Im Theater des so genannten „Westens“ wurden Gerüche bislang kaum inszeniert. Das verwundert nicht – schließlich wird der Geruchssinn in unseren Breitengraden gemeinhin als versteckter bzw. als impliziter Sinn bezeichnet (vgl. Köster 2002) und wurde von der europäischen Philosophie lange Zeit weitgehend abgewertet. In Kants Sinneshierarchie etwa rangieren Geruch und Geschmack im Gegensatz zu Gehör, Gesicht und Gefühl ganz unten. Nietzsche und Feuerbach zählen zu den wenigen Denker*innen, die für eine Aufwertung der olfaktorischen Sinne plädiert haben (vgl. Le Guérer 1992). Welch unglaubliche Bedeutung der Geruchssinn für die Organisation unseres sozialen Lebens spielt, haben Neurophysiolg*innen und –psycholog*nnen aber erst in den letzten Jahren entdeckt. Heute wissen wir, dass Gerüche die Fähigkeit haben, unser Verhalten außerhalb des Bewusstseins zu beeinflussen. Sie provozieren starke affektive Bewertungen, sind imstande, spezifische Erinnerungen zu wecken und verbinden sich einfach und schnell mit anderen Umweltreizen (vgl. dazu z.B. Smeets/Dijksterhuis 2014).
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse scheint es lohnenswert, sich den darstellenden Künsten "mit der Nase zu nähern". Tatsächlich nämlich spielen olfaktorische Wahrnehmungen im Theater seit jeher eine wesentliche Rolle. Das trifft nicht nur auf die dionysischen Festspiele im antiken Athen zu, die von riechbaren Opferzeremonien begleitet worden sind. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war es in Europa bekanntlich durchaus üblich, Theater und Oper essend und trinkend zu rezipieren – was mitunter zu ernsthaften Geruchsbelästigungen geführt haben muss. Ähnliches gilt für all die unterschiedlichen Formen des Wander- und Jahrmarktstheaters, die sich über die Zeit herausgebildet haben. So lautet etwa der Rat, den Johann Pezzl in seiner "Skizze über Wien" (1786-1790) für all jene bereitstellt, die der Kunst von fahrenden Theaterleuten in Komödienhütten und Marktbuden zu frönen gedachten: „[...] nehmt bevor eine Prise Tabak, damit euch nicht der Gestank der Beleuchtung, des verschütteten Bieres, der Knoblauchwürste und der Dunstkreis des hochansehnlichen Publikums zu gäh auf die Lunge falle [...]." (Pezzl in Gugitz/Schlossar 1923). Ausgehend von diesen skizzierten Beobachtungen widmet sich die geplante Lehrveranstaltung einer Frage, die in der Forschung bislang unterbelichtet geblieben ist: Welche Rolle spielen (Körper-)Gerüche innerhalb von Theatertexten und Performances, aber auch im Kontext der Rezeption von darstellenden Künsten?
Die Lehrveranstaltung ermöglicht den Studierenden, sowohl theaterhistorische Kenntnisse als auch Kompetenzen zur Analyse von affizierenden Prozessen zu erwerben. Sie eignen sich transdisziplinäre Methodenkenntnisse zur Bearbeitung einer individuell entwickelten Forschungsfrage an. Grundsätzlich geht es darum, die Grundsteine für eine künftige "Sensory Theatre History" zu legen.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Aktive Mitarbeit (in Form von Gedanken- und Wortspenden) an den Analysearbeitsaufträgen (in Kleinteams und Plenum): 30 % 2) Schriftliche Wahrnehmungs- und Lektüreaufgaben: 30 % 3) Schriftliche Seminararbeit: 40 %
Die Studierenden werden bei der Erstellung ihrer Seminararbeit, die im Laufe des Semesters entstehen soll, kontinuierlich begleitet.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Alle oben ausgeführten Teilleistungen müssen für einen positiven Abschluss positiv bestanden werden. Die Bereitschaft zur Lektüre und zur Diskussion der Texte muss erkennbar, d.h. aus der aktiven Beteiligung an den Buzz-Groups, an den Lektüre- und Reflexionshausaufgaben sowie aus regelmäßigen Redebeiträgen im Plenum, hervorgehen. Es besteht Anwesenheitspflicht. In entschuldigten Fällen (per email, bitte keine Atteste, Parten etc.!) dürfen Sie max. drei Termine versäumen.

Prüfungsstoff

Die zur Verfügung gestellten theoretischen Texte, die diskutierten Methoden sowie die gemeinsam erarbeiteten Positionen.

Literatur

Literatur: Jacob Baum (2018): Reformation of the Senses. The Paradox of Religious Belief and Practice in Germany. Urbana: University of Illinois Press; Paul Divjak (2016): Der Geruch der Welt. Wien: Edition Atelier; Doty, R.I. et. al. (2004): „Assessment of upper respiratory tract and ocular irritative effects of volatile chemicals in humans." In: Crit. Rev. Toxicol 34, S. 85-142; Jellink, J.S. (2004): „Proust remembered: has Proust's account of autobiographical odour-cued memory recall really been investigated?" In: Chem. Senses 29, S. 455-458; Köster, E.P. (2002): „The specific characteristics of the sense of smell." In: Rouby, C./Schaal, B./Dubois, D./Gervais, R./Holley, A. (Hg.): Olfaction, Taste and Cognition. Cambridge: University Press, S. 27-43; Annick Le Guérer (1992): Die Macht der Gerüche: eine Philosophie der Nase. Aus dem Französischen von Wolfgang Krege. Stuttgart: Klett-Cotta; Johann Pezzl (1923): Skizze von Wien [6 Hefte, 1786-1790]. Neu herausgegeben von Gustav Gugitz und Anton Schlossar. Fraz: Leykam; Jonathan Reinarz (2014): Past scents: historical perspectives on smell. Urbana: University of Illinois Press; Smeets, M.A.M./Dijksterhuis, G.B. (2014): „Smelly primes – when olfactory primes do or do not work." In: Frontiers in Psychology 5; Marc Smith (2007): Sensory History. Oxford: Berg.

Eine Literaturliste sowie ausgewählte theoretische Texte werden den Studierenden über Moodle zur Verfügung gestellt.

Ausgewählte theoretische Texte werden den Studierenden über Moodle zur Verfügung gestellt.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Mi 21.04.2021 11:26