Universität Wien

180078 VO-L Technik und Freiheit (2016S)

Technik zwischen struktureller Hegemonie und dem Versprechen der Freiheit

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie

Details

Sprache: Deutsch

Prüfungstermine

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

  • Montag 07.03. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 14.03. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 04.04. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 11.04. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 18.04. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 25.04. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 02.05. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 09.05. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 23.05. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 30.05. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 06.06. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 13.06. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
  • Montag 20.06. 15:00 - 16:30 Hörsaal 3B NIG 3.Stock

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Inhalt:
Jean Paul Sartre versucht Mitte des 20. Jahrhunderts den Begriff der Freiheit zu radikalisieren: Das Menschliche an den Menschen ist ihre Unbestimmtheit, ihre Freiheit. Sie sind geboren um frei zu sein, oder negativ ausgedrückt: Sie sind dazu verurteilt. Oder wie Günther Anders es vor Sartre auf paradoxe Weise formuliert hat: Das Wesen der Menschen ist, kein bestimmtes Wesen zu haben. Da den Menschen kein bestimmtes Wesen gegeben ist, müssen sie sich immer wieder selbst bestimmen, müssen immer wieder neue "Entwürfe" (Satre) ihrer selbst bestimmen. Und damit zusammen hängt eine grundsätzliche Abhängigkeit der Menschen von ihren Techniken. Ohne zum Beispiel die Techniken zur Herstellung von Kleidern, Werkzeugen und Behausungen könnten Menschen kaum überleben. Die Ambivalenz von Technik und Freiheit hat sich in der Entwicklung zur modernen technisch-wissenschaftlichen Zivilisation verschärft: In der hochtechnisierten Gesellschaft ist die kollektive Abhängigkeit von hochkomplexen Technologien, der Preis für den technischen Komfort.
Doch trotz solcher Abhängigkeiten können wir im Allgemeinen behaupten, dass die Moderne eine Vermehrung von wählbaren Optionen hervorgebracht hat. Die Freiheit der Optionen ist in der Moderne aber durch einen programmhaften Ablauf geprägt. Sie kann meist nur dann realisiert werden, wenn das eigene Leben von vornhinein in planbare Bahnen gepresst wird. In der "programmierten Gesellschaft" (Touraine) stehen zumindest Individuen aus gewissen Gesellschaftsschichten, durchaus Optionen offen ihre eigenen Programme für ihr eigenes Leben zu entwerfen. Freie Spontaneität geht dabei oft verloren, und "Befreiung" tritt erst durch eine Dysfunktion, einen Zwischenfall, durch etwas Unvorhergesehenes schlagartig wieder in unser Leben ein. Doch Befreiung ist noch nicht Freiheit in ihrem vollen Sinne. Denn die prinzipielle Unbestimmtheit und Offenheit, die Bildsamkeit und Wendigkeit der Menschen ist immer auf die Beziehungen der Menschen untereinander bezogen: Auf ihre Sprache und Möglichkeiten zum gemeinsamen Handeln (Arendt).
Die Informationstechnologie alleine ist keinesfalls imstande, eine soziale Vision zu erzeugen, der Einsatz dieser Technologien kann statt zu einer Bereicherung auch zu einem Substitut für soziale Beziehungen werden. Die technischen Medien geben Struktur und Inhalt der Kommunikation und des Austausches vor und sind nur ein Beispiel dafür, wie in der Moderne das öffentliche und private Leben in vorgeschriebene Kanäle gezwungen, der freie Fluss des Lebens kanalisiert wird. Die "systemischen Zwänge, die eine kommunikativ strukturierte Lebenswelt instrumentalisieren" (Habermas), zwingen die Individuen zur Verfolgung ihrer eigenen Ziele in bereits vorgegebenen Bahnen. Die Individuen sind gezwungen, während sie ihren eigenen Zielen nachgehen, zugleich fremden Zielen oder Interessen zu dienen. Sie "verstecken sich gleichsam in den Poren des kommunikativen Handelns" (Habermas) und depersonalisieren es, indem sie jede Spontaneität vergiften. "Unsere Gesellschaft ist eine Gesellschaft der Entfremdung, nicht weil sie Menschen ins Elend stößt oder weil sei polizeiähnliche Zwänge auferlegt, sondern weil sie verführt, manipuliert, integriert." (Touraine)
Doch Freiheit kann nicht nur heißen, sich von Zwängen zu befreien, sondern Freiheit sollte viel mehr bedeuten Bewegungsspielräume zu konstruieren, zu fingieren (Luhmann). Die Frage nach der Technik und der Freiheit wird damit zu einer Frage nach möglichen Spielräumen, nach der Frage von Entscheidungen, aus der Vergangenheit und in Zukunft. Entscheidungen mit bestimmten Freiheitsgraden (Baecker), die von einer Technikideologie - von Ingenieuren die sich als Verwalter von Sachzwängen darstellen - gerne verschleiert werden. Diese Entscheidungen sichtbar und kritisierbar zu machen, ist ein Ziel dieser Lehrveranstaltung.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Wird am Anfang der LV bekannt gegeben: Wahrscheinlich ein Prüfungsgespräch nach einem vorgegebenen Fragenkatalog. (Bei mehr als 100 TeilnehmerInnen an der Lehrveranstaltung wird stattdessen ein schriftliches Kolloquium stattfinden.)

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Die philosophische Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld von Technik und Freiheit erfolgt mit folgenden Zielen:

1. Einen grundlegenden Einblick in technikphilosophische Diskussionen gewinnen.
2. Die verschiedenen Konzeptionen von Freiheit im philosophischen Diskurs kennen lernen.
3. Die philosophische Problematik der verwendete Begriffe wie Technik, téchne, negative und positive Freiheit, Erfahrungsverlust, usf. verstehen können, sowie deren ethische und politischen Implikationen erkennen.
4. Die Komplexität und gegenseitige Abhängigkeiten technikphilosophischer Probleme erkennen können.
5. Größere Zusammenhänge sollen erkannt werden können und gemeinsam ein Problembewusstsein bei der Analyse von Freiheitskonzepten und technisch-sozialer Systeme entwickelt werden.
6. Einige philosophische Positionen von ausgewählten AutorInnen betreffend das Spannungsfeld von Technik und Freiheit nachvollziehen zu können.

Prüfungsstoff

Wird am Anfang der LV genau festgelegt:
Die in der LV vorgetragenen Inhalte und eine Textauswahl aus Pflichtlektüre und weiterführender Lektüre (wird am Beginn des Semesters konkret festgelegt).

Literatur

Literatur:

Diese Liste wird noch vervollständigt und konkretisiert!
Die genaue Pflichtlektüre und die exakten Textstellen werden am Beginn des Semesters festgelegt!

Althusser, Luis: Anmerkungen über die ideologischen Staatsapparate. Berlin: 1977.
Altmann, Volkmar: Totalität und Perspektive. Zum Wirklichkeitsbegriff Robert Musils im "Mann ohne Eigenschaften". Frankfurt am Main: 1990.
Anders (Stern), Günther: Pathologie de la liberté. Essai sur la non-identification. in: Recherches Philosophiques. Nr. VI. (S. 22 – 54) Paris: 1937.
Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen. Band 1. München: C. H. Beck 1992.
Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen. Band 2. München: C. H. Beck 1992.
Arendt, Hannah: Vita Activa oder vom tätigen Leben. München: Piper 1992.
Baecker, Dirk: Technik und Entscheidung. In: Hörl, Erich (Hrsg.): Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt. Berlin: Suhrkamp, 2011.
Baudrillard, Jean: Der unmögliche Tausch. Berlin: Merve 2000.
Bergson, Henri: Zeit und Freiheit. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1994.
Berlin, Isaiah: Two Concepts of Liberty. In ders.: Four Essays on Liberty. Oxford: 1969.
Böhme Gernot: Invasive Technisierung. Technikphilosophie und Technikkritik. Kusterdingen: Die Graue Edition 2008.
Falkenburg, Brigitte: Wem dient die Technik? Baden-Baden: Nomos 2004.
Felderer, Brigitte (Hrsg.): Wunschmaschine – Welterfindung. Wien: Springer 1996.
Foucault, Michel: Botschaften der Macht. Der Foucault-Reader. Herausgegeben von Jan Engelmann. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999.
Foucault, Michel: Freiheit und Selbstsorge. Frankfurt am Main: Materialis Verlag 1993.
Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. 12 Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985
Heidegger, Martin: Die Frage nach der Technik. In ders.: Vortrage und Aufsätze. Stuttgart: Klett-Cotta 2004.
Hörl, Erich (Hrsg.): Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt. Berlin: Suhrkamp, 2011.
Kant , Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Hamburg: Meiner Verlag 1998.
Latour, Bruno: Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2001.
Latour, Bruno: Technik ist stabilisierte Gesellschaft. In: Belliger, Andréa / Krieger, David J. (Hrsg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript Verlag 2006.
Niklas Luhmann, »Kausalität im Süden«, in: Soziale Systeme 1 / 1995, S.7-28.
Nordmann, Alfred: Technikphilosophie zur Einführung. Hamburg: Junius, 2008.
Sartre, Jean Paul: Das Sein und das Nichts. Reinbek: Rowohlt 1994
Sartre, Jean-Paul: Gesammelte Werke. Philosophische Schriften I. Reinbek: Rowohlt 1994.
Touraine, Alain: Critique of Modernity. Oxford: Blackwell 1995
Wajcman, Judy: Technik und Geschlecht, Frankfurt am Main: 1994.
Wajcman, Judy: Technofeminism. Cambridge, Polity Press, 2004.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

BA M 7.2, PP 57.3.6

Letzte Änderung: Mo 07.09.2020 15:36