070190 KU Die Bauern im sowjetischen Russland (2007S)

Als Sozialhistoriker insbesondere in den USA ab den späten 1960er Jahren ihr Augenmerk auf die Bauern in den ersten Jahrzehnten des sowjetischen Russlands richteten, begründeten sie eine Richtung in der Historiographie, die in scharfen Gegensatz zur tonangebenden Totalitarismustheorie geraten sollte. Denn statt der scheinbar perfekt funktionierenden Unterdrückungsmaschinerie der Stalinzeit gerieten nun die Grenzen der Beherrschbarkeit in den Blick. Die neue Bauernhistoriographie rüttelte damit am Fundament der vom Kalten Krieg geprägten Sowjetologie. Der dadurch ausgelöste Konflikt hinterlässt in den historiographischen Debatten bis heute Spuren.

Unterdessen ist die historische Bauernforschung auch in Russland selbst zum Politikum geworden. Infolge von Glasnost' begannen HistorikerInnen die Vernichtung des Dorfes durch die Kollektivierung zu erforschen. Solche Bestrebungen werden heute von mehreren Seiten unterlaufen. Die bewusst staatstragende Historiographie der Honoratioren in der Putinära blockiert die konsequente Erforschung der Kollektivierung, ihrer Vorgeschichte und ihrer Folgen. Ebenso hinderlich sind der geschichtswissenschaftlichen Analyse bäuerlicher Lebenswelten in den 1920er und 1930er Jahren sozialromantische und nationalistische Tendenzen, die die russischen Bauern zu zeitlosen Figuren stilisieren.