Universität Wien

070575 KU Vom Findelhaus zur Babyklappe (2006S)

Vom Findelhaus zur Babyklappe

0.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 7 - Geschichte
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Freitag, 13.00 (pktl.)-16.00 Uhr im Hörsaal 45. Weitere Termine: 10., 17. und 24. März, 7. und 28. April, 12. Mai, 9. und 23. Juni 2006. Am 9. und 23. Juni 2006 wird die LV von 16.00 bis 17.30 Uhr im Seminarraum Geschichte 3 fortgesetzt.

Details

max. 25 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine

Zur Zeit sind keine Termine bekannt.

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Die Lehrveranstaltung soll einen Bogen spannen von der historischen Erscheinung der Findelhäuser im 18. und 19. Jahrhundert zur jüngst diskutierten und in verschiedenen Ländern Europas auch bereits verwirklichten Einrichtung von Babyklappen und dem Angebot der anonymen Geburt. Findelhäuser waren im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts gängige Einrichtungen, Findelkinder ein Massenphänomen. In fast allen großen, aber auch in vielen kleineren Städten wurden Findelhäuser gegründet oder bestehende reformiert. Städte wie London, Paris, Lyon, Prag, Moskau, St. Petersburg, Madrid, Mailand, Florenz, Bologna, Dublin oder Wien hatten ihre eigenen, zum Teil sehr großen Anstalten. Diese Institutionen konnten an frühere, teilweise mittelalterliche Einrichtungen anknüpfen. Das Modell Findelhaus stand' zur Verfügung', doch wurde es nun, seit dem 18. Jahrhundert, in einer noch nie da gewesenen Weise genutzt. Findelanstalten waren sehr unterschiedlich organisiert. Manche nahmen Säuglinge auf, ohne weiter nach ihrer Herkunft zu fragen. Die ausgeprägteste Form einer solchen anonymen Kindesaufnahme war die Drehlade. Häufig waren Findelanstalten mit Gebärhäusern verbunden. Sie übernahmen dann in erster Linie Säuglinge, die dort zur Welt kamen.
Das Phänomen der massenhaften Kindesaussetzungen in Europa wirft viele Fragen auf. An erster Stelle steht jene nach den möglichen Gründen der häufigen Kindesweglegung und der großen Bereitschaft der Menschen, sich ihrer Kinder zu entledigen. Auch die zeitliche Konzentration dieses Phänomens auf die zweite Hälfte des 18. und die erste des 19. Jahrhunderts bedarf einer Erklärung. Sind diese Anstalten als Antworten auf die verstärkt auftretenden Kindesweglegungen oder - wie Zeitgenossen vielfach darlegten - auf den Anstieg der Kindsmordfälle zu werten? Oder war es umgekehrt, und führten erst Findelhäuser zu einer solchen Vermehrung von Kindesaussetzungen? Und wem schließlich nutzten diese Anstalten: den ledigen Müttern, den

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

eines ersten Prototyps in Wien, mittlerweile auch in anderen österreichischen Städten. Was unterscheidet die Einrichtungen des 18. und 19. Jahrhunderts von den heutigen Versuchen, für unerwünschte Kinder vorzusorgen? Und wo finden sich Parallelen zwischen den historischen Anstrengungen und jenen der Gegenwart? Warum schließlich ist Geheimhaltung der Mutterschaft in diesem Zusammenhang ein so zentrales Thema? Im ersten Teil der Lehrveranstaltung soll durch die Rezeption vorhandener Sekundärliteratur und aktueller Literatur zur Babyklappe das Thema angerissen werden, um dann im zweiten Teil die zentralen Fragen der Lehrveranstaltung bearbeiten zu können. Zu diesen zählen die Analyse der Gründungszusammenhänge der alten wie der neuen Einrichtung (Kindsmord, Populationspolitik), die Analyse der die Einrichtungen begleitenden (und einander ähnelnden) Diskussionen (Mortalität) und schließlich die Argumentationen und gesellschaftlichen Bedingungen (Konzept der Mutterliebe), die die Modelle "Findelhaus", Anonyme Geburt" und "Babyklappe" begleiten und begleitet haben. Diese Fragen berühren grundsätzliche neuere Ansätze der Sozialpolitikforschung.
Dem prüfungsimmanenten Charakter der Lehrveranstaltung entsprechend, soll jeweils ein sich im Rahmen dieser Lehrveranstaltung bietendes Detailthema von den Studierenden (z.T. in Gruppenarbeit) bearbeitet und in einem Referat vorgestellt werden. Anhand dieser Aufgabe soll wissenschaftliche Arbeit vom Bibliographieren bis zum Präsentieren exemplarisch geübt werden. Notwendige Bedingung für den positiven Abschluss der Lehrveranstaltung sind Diskussionsbeteiligung, Präsentation des Arbeitsergebnisses und Abgabe einer kurzen Disposition zum gewählten Thema.

Prüfungsstoff

unehelichen Kindern oder der staatlichen Bevölkerungspolitik? Außer bei österreichischen Findelhäusern, die eigene Geheimhaltungsregelungen hatten, waren es im Allgemeinen Drehladen, welche die Möglichkeit boten, sich eines Kindes anonym zu entledigen. Sie sind die unmittelbaren Vorläuferinnen der heutigen Babyklappen. Beide - Drehladen wie Babyklappen - kann man als spektakuläre, aber gewissermaßen auch hilflose Reaktionen der Gesellschaft auf ein als ungeheuerlich empfundenes Phänomen werten: Das Weglegen von Kindern, das ja immer auch den Tod der Ausgesetzten mit in Kauf nahm, muss/te auf jeden Fall verhindert werden, und sei es um den Preis einer gewissen Förderung dessen, was eigentlich unterbunden werden sollte.
Auch die Idee der anonymen Geburt wurde in jüngster Zeit wieder aufgegriffen. Vorerst nur von einem Wiener Ordensspital angeboten, ist sie heute in mehreren österreichischen Spitälern möglich. Und Babyklappen gibt es nach deutschem Vorbild und nach der Installierung

Literatur

Ulbricht Otto, The debate about foundling hospitals in enlightenment Germany: Infanticide, illegitimacy, and infant mortality rates, in: Central european history 18 (1985) 211 256.
Taeger Angela, Kindesaussetzung und Frauenpolitik. Fürsorge für Mutter und Kind im Frankreich des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1991.
Hunecke Volker, Die Findelkinder von Mailand. Kindsaussetzung und aussetzende Eltern vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1987.
Fuchs Rachel Ginnis, Abandoned children. Foundlings and child welfare in nineteenth century France, Albany/New York 1984.
Melinz Gerhard/Susan Zimmermann, Über die Grenzen der Armenhilfe. Kommunale und staatliche Sozialpolitik in Wien und Budapest in der Doppelmonarchie, Wien/Zürich 1991.
Bock Gisela/Pat Thane (Hg.), Maternity and gender policies. Women and the rise of the european welfare states 1880s 1950s, London/New York 1991.


Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

A1; LAGA1, LAPA1; 1C, 2C; 4 ECTS

Letzte Änderung: Fr 31.08.2018 08:49