100138 KO Konversatorium Neuere deutsche Literatur (2024W)

Ausgehend vom Werk des Autorengasts Daniel Wisser sollen die folgenden Fragen theoretisch umkreist und kritisch eingeordnet werden: Wie ist der Raum in Literatur abgebildet? Macht man (Autor:in, Leser:in) (sich) ein Modell davon? Wie werden (real existierende oder erfundene) Schauplätze (z.B. Städte und Plätze) in literarischen Texten dargestellt? Mit welchen Mitteln? Zu welchen Zwecken? Wie werden die Imaginationen der Lesenden hervorgerufen, gesteuert, und mit welcher ästhetischen Intention? Es geht dabei um viel mehr und anderes als um eine Motivgeschichte der Stadt und von Landschaft in literarischen Texten. In literaturtheoretischen Ansätzen aus dem Bereich der „Cognitive Poetics“, die am Konzept der „Experientiality“ orientiert sind, spielt die Frage nach „Imagination“ eine große Rolle. Mit diesem Instrumentarium, das seinerseits theorie-kritisch hinterfragt werden soll, sollen literarische Texte auf die in ihnen wirksame Gestaltung von Schauplätzen untersucht werden. Folgende Punkte lassen sich ausdifferenzieren:

1. Handlungsort als Fiktion des Autors im sozialkritischen Roman:
Wie erfindet man eine Stadt (wie die fiktive Kleinstadt Zenith in Sinclair Lewis’ "Babbitt")?
2. Handlungsort als Fiktion des Autors im Unterhaltungsroman:
Wie wird eine geo- und topographische Karte zum Ausgangspunkt einer Erzählung (wie in Robert Louis Stevensons Roman "Die Schatzinsel")? Wie werden Figuren und Handlung von den Schauplätzen formiert, wie wirken Momente der Figurenpsychologie und und Figurenzeichnung auf die Orte der Handlung zurück?
3. Flaneur im eigenen Universum: Fiktionale Schauplätze in der Lyrik
Was sind die Besonderheiten der Darstellungen von Orten in der Dichtung? Worauf referenzier sie? Dylan Thomas: "Under Milk Wood" / "Unterm Milchwald".
Andreas Okopenko: „7. Mai“
4: Experimente mit Raumwahrnehmung und Darstellung
Georges Perec: "Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen"
Alain Robbe-Grillet: "La Jalousie/Die Jalousie oder Die Eifersucht" (mit: Frantisek Lesák: „Texttreue“ und Oswald Wiener: „Ein Pfeiler als Gnomon in Robbe-Grillets Jalousie“ - zu Lesáks Texttreue)
5. Orte und Gedanken
Wie überblenden Autor:innen topographische Beschreibungen mit der Darstellung von Gefühlen und Gedanken der Figuren und/oder der Erzählinstanz: Virginia Woolf: "Mrs. Dalloway" (Auszug, Moodle); Virginia Woolf: “Street Haunting: A London Adventure” (Moodle)
6. Daniel Wisser: "Königin der Berge. Roman". München: btb 2020; "Dopplergasse 8. Roman in 45 Strophen". Klagenfurt: Ritter 2003; "Das Paradies war früher schöner" unter dem Pseudonym Simon Ammer, Kriminalroman. München: Droemer 2024.

Lehrkonzept:
Kritische Einführung und Lektüren der theorierelevanten Texte und der Primärliteratur; Formierung von Expert:innengruppen, die ein jeweiliges Thema vertieft bearbeiten und die Einheit in Abstimmung mit dem LV-Leiter konzipieren; die jeweiligen Fokustexte (die von allen zu lesen sind) sind die Grundlage der Gestaltung der jeweiligen Einheit, in denen das gemeinsam moderierte Gespräch (u.a. anhand von Diskussionsfragen) den größten Raum einnimmt.
Besuch von Daniel Wisser in 3 Einheiten (November, Dezember und Jänner), gemeinsame Präsentation eines zu ersinnenden und zu erarbeitenden Programms bei einer Veranstaltung (vor allgemeinem Literaturpublikum) in der Alten Schmiede Wien – damit Anbindung von Studierenden an literarische Institutionen außerhalb der Universität (= Einbringen und Anknüpfen an externe Expertise)

Laut Studienplan ist ein „Konversatorium eine literatur- und diskussionsorientierte Lehrveranstaltung, die sich thematisch übergreifenden philologischen Zusammenhängen und Fragestellungen in historischer und systematischer Perspektive widmet."