Universität Wien

100237 PS NdL: Paul Scheerbart - Utopie und Moderne (2020W)

4.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 10 - Deutsche Philologie
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

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Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 30 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

Ab 3. 11. wird das Proseminar bis auf Widerruf nicht mehr in Präsenz, sondern digital abgehalten.

Dienstag 06.10. 13:15 - 14:45 Seminarraum 1 Hauptgebäude, Tiefparterre Stiege 9 Hof 3
Dienstag 13.10. 13:15 - 14:45 Seminarraum 1 Hauptgebäude, Tiefparterre Stiege 9 Hof 3
Dienstag 20.10. 13:15 - 14:45 Seminarraum 1 Hauptgebäude, Tiefparterre Stiege 9 Hof 3
Dienstag 27.10. 13:15 - 14:45 Seminarraum 1 Hauptgebäude, Tiefparterre Stiege 9 Hof 3
Dienstag 03.11. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 10.11. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 17.11. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 24.11. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 01.12. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 15.12. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 12.01. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 19.01. 13:15 - 14:45 Digital
Dienstag 26.01. 13:15 - 14:45 Digital

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Inhalt

“No one reads German polymath Paul Scheerbart” ¬– dieser Satz aus einer tumblr-Seite ist nur leicht übertrieben. Dabei handelt es sich bei Scheerbart um einen der eigenwilligsten, vielseitigsten, anregendsten und modernsten Autoren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Eben in seinem Eigensinn, der sich allen dominanten zeitgenössischen Strömungen – vom Naturalismus bis zum Expressionismus – widersetzte, mag es begründet sein, dass Scheerbart nach wie vor weitgehend ein Geheimtipp geblieben ist. Seine phantastischen Texte, seien es Romane, Erzählungen, Dramen, Gedichte oder essayistische Skizzen, entfalten ein reiches Spektrum von Visionen und oft skurrilen Einfällen. Scheerbarts Utopien sind radikal und allumfassend: Die vollkommene architektonische Umgestaltung der Erdoberfläche gehört ebenso dazu wie der Entwurf alternativer Lebensformen auf anderen Planeten. Die Modernität Scheerbarts zeigt sich zum einen in der Thematisierung der Beziehung zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Wesen, die spätere Gedanken des Trans- und Posthumanismus vorwegnimmt. Des Weiteren sind diese Wesen in größere, kosmische Zusammenhänge eingebunden und ihnen untergeordnet. Damit schreibt sich Scheerbart nicht nur in zeitgenössische esoterische Diskurse ein, sondern antizipiert auch zentrale Konzepte des Ecocriticism, insbesondere der Tiefenökologie. Zum anderen aber begnügte sich Scheerbart – im Unterschied zu zeitgenössischen Vertretern des utopischen Schreibens – nicht mit thematischer Innovation, sondern entwickelte einen eigenen Stil, der durch bewusste Einfachheit und kunstvolle Naivität gekennzeichnet ist. Das Märchenhafte und Wunderbare bildet so das Sprungbrett für ein Vorstellungsvermögen und eine Einbildungskraft, deren Bilder die Grenzen des rational Erfass- und Erklärbaren zu sprengen trachten.

Ziele

Im Laufe des Proseminars sollen die verschiedenen inhaltlichen und stilistischen Aspekte von Scheerbarts Werk anhand ausgewählter Texte analysiert werden. Die große Bandbreite der hier aufscheinenden Themen und literarischen Formen soll herausgestellt werden. Besonders aufschlussreich erscheint dabei Scheerbarts kreativer und oft ironischer Umgang mit Gattungsmustern. Nicht zuletzt ist es die Gattung der literarischen Utopie, die durch diese Texte um neue Bedeutungsschichten erweitert beziehungsweise in Frage gestellt wird.
Folgende Themenkomplexe werden bearbeitet:
1. Antinaturalismus. Beispiel: Immer mutig! Ein phantastischer Nilpferdroman mit 83 merkwürdigen Geschichten
2. Orientalismus und Ästhetizismus. Beispiel: Tarub, Bagdads berühmte Köchin. Ein arabischer Kultur-Roman
3. „Einfaches Theater“. Beispiel: Revolutionäre Theater-Bibliothek
4. Planetenromane. Beispiele: Die große Revolution, Lesabéndio
5. Utopie des Perpetuum Mobile
6. Aviatik und Pazifismus. Beispiel: Über die Entwicklung des Luftmilitarismus und die Auflösung der europäischen Land-Heere, Festungen und Seeflotten. Eine Flugschrift
7. Münchhauseniaden. Beispiele: Münchhausen und Clarissa; Das große Licht
8. „Reine Architektur“. Beispiel: Rakkóx der Billionär; Glasarchitektur
9. Die Umgestaltung des Erdballs. Beispiel: Das graue Tuch und zehn Prozent Weiß. Ein Damenroman

Methode

Das Proseminar soll - sofern möglich - im Präsenzunterricht abgehalten werden.
ExpertInnengruppen erarbeiten für die einzelnen Sitzungen elektronisch zu verschickende Thesenpapiere und vier Leitfragen. Die ExpertInnen halten Impulsreferate, die insgesamt nicht länger als 20 Minuten dauern sollen (ca. 5 Minuten für jede Referentin/jeden Referenten). Aufteilung des Plenums in vier Gruppen mit je einer „Expertin“, die jeweils eine Frage diskutieren (20 Min.). Vorstellung der Diskussionsergebnisse der Gruppen, Plenumsdiskussion. Impulse sollen in die schriftliche Proseminararbeit einfließen. Ziele: Textnähe, Aktivierung der Studierenden.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

- Abhaltung eines Impulsreferats, das mit den Mitgliedern einer ExpertInnengruppe abgestimmt ist; im Anschluss Diskussionsleitung
- Erstellung eines Handouts und von 4 Leitfragen für die Diskussion (in Abstimmung mit der ExpertInnengruppe)
- Teilnahme an den Diskussionen in allen Einheiten
- Proseminararbeit im Umfang von mindestens 15 Seiten Haupttext, Abgabe bis spätesten 15. 4. 2021 in gedruckter und elektronischer Form.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

- Klare Struktur und wirkungsvolle Technik des Vortrags
- Effizienter und sinnvoller Einsatz von Hilfsmitteln (Handout, Folien etc.)
- Aktive Teilnahme an sämtlichen Sitzungen durch Fragen und Diskussionsbeiträge
- Handout: effizient und konzise aufbereitete Informationen, klare Struktur, Auswahl markanter, aussagekräftiger Zitate
- Leitfragen: Relevante, offene Fragen, Bevorzugung kontroverser Fragestellungen
- Umsichtige Diskussionsleitung, die Impulse setzt, ohne die Diskussion rigide zu steuern.

Beurteilungskriterien für die Seminararbeiten:

Forschungsstand
- Reflektierte Kenntnis des Forschungsstands
- Angemessenheit der Auswahl der zitierten Literatur
- Wissenschaftlichkeit der Quellen (Lexika, Monographien, Aufsätze etc.)
- Konsistente Einbettung in den aktuellen Forschungsstand

Theorie und Methode
- Präzisierung von Fragestellung(en), Ziel(en) und/oder Hypothese(n)
- Klarheit und Nachvollziehbarkeit der Formulierung und Begriffsverwendung
- Erklärung und Begründung des methodischen Vorgehens
- Gegenstandsangemessenheit des methodischen oder theoretischen Paradigmas
- Methodische und theoretische Problembewusstheit

Struktur und Aufbau
- Plausibilität der Gesamtstruktur der Arbeit
- Stimmigkeit der jeweiligen Abschnitte in sich
- Logische Abstimmung und Balance der Abschnitte untereinander (Textkohärenz und -kohäsion)
- Plausible Rahmung durch Einleitung und Schluss

Prüfungsstoff

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Literatur

Hubert Bär: Natur und Gesellschaft bei Scheerbart. Genese und Implikationen einer Kulturutopie. Heidelberg 1977.
Clemens Brunn: Der Ausweg ins Unwirkliche. Fiktion und Weltmodell bei Paul Scheerbart und Alfred Kubin. Hamburg, 2. aktual. Auflage 2010.
Thorsten Carstensen: Buntes Glas besiegt den Hass. Paul Scheerbarts architektonische Volkserziehung. In: Anna S. Brasch/Christian Meierhofer (Hg.), Weltanschauung und Textproduktion. Beiträge zu einem Verhältnis in der Moderne. Berlin 2020, S. 269-301.
Sevil Enginsoy Ekinci: Writing, Model Making, and Inventing in Paul Scheerbart’s The Perpetual Motion Machine. In: Reading Architecture. Literary Imagination and Architectural Experience. Edited by Angeliki Sioli and Yoonchun Jung. New York 2018, S. 123-133.
Hubertus von Gemmingen: Paul Scheerbarts astrale Literatur. Frankfurt/M. 1976.
Rosemarie Haag-Bletter: The interpretation of the Glass Dream. Expressionist architecture and the history of the Crystal Metaphor. In: Journal of the Society of architectural historians. Jg. 40, March 1981, S. 20–43.
Robert Hodonyi: Paul Scheerbart und Herwarth Waldens „Verein für Kunst“. In: Wissenschaften im Dialog. Studien aus dem Bereich der Germanistik. Hg. Noémi Kordics unter Mitarbeit v. Eszter Szabó, Band 2, Klausenburg, Großwardein 2008, S. 143–161.
Roland Innerhofer: Literarische und architektonische Phantasie im Zeitalter der Avantgarden. Paul Scheerbart und Bruno Taut. In: Architektur & Bauforum 33. Jg., Nr. 205, März/April 2000, S. 130-139.
Roland Innerhofer: Inflationäre Phantasie. Zu Paul Scheerbarts „Rakkóx der Billionär“. In: Literatur um 1900. Zentrale Texte neu gelesen. Hg. von Cornelia Niedermeier und Karl Wagner. Wien 2001, S. 179-186.
Roland Innerhofer: „Mir ist so orientalisch zu Muth“. 1897: Paul Scheerbart publiziert arabische Romane. In: Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Hg. v. Alexander Honold und Klaus R. Scherpe. Stuttgart, Weimar 2004, S. 209-216.
Roland Innerhofer: Psychophysik der Strahlen: Gustav Theodor Fechner, Paul Scheerbart. In: Strahlen sehen. Zu einer Ästhetik des Emanativen. Hg. von Roland Innerhofer und Dorothea Rebecca Schönsee. Wien 2015, S. 88-103.
Christoph Jeanjour: Sozialphänomenologie der Literatur. Untersuchungen am Beispiel und aus Anlaß von Paul Scheerbarts literarischem Werk. 2 Bände. Heidelberg 1981.
Paul Kaltefleiter, Berni Lörwald, Michael M. Schardt (Hg.): Über Paul Scheerbart. 100 Jahre Scheerbart-Rezeption. 3 Bände. Paderborn 1998.
Uli Kohnle: Paul Scheerbart. Eine Bibliographie. Bellheim 1994.
Susana Martins Oliveira: Paul Scheerbart’s Kaleidoscopic Fantasies. In: Brumal. Revista de Investigación sobre lo Fantástico = research journal on the fantastic, 01 December 2017, Vol.5(2), S. 11-26.
Karolina Matuszewska: „Es ist eine grosse Seligkeit – so allein – so ganz und gar allein mit seinen Träumen zu sein“ – Paul Scheerbart und seine geistige Flucht in den Orient. In: Colloquia Germanica Stetinensia, 2017, Issue 26, S. 43-62.
Cornelius Partsch: Paul Scheerbart and the art of science fiction. In: Science-Fiction Studies, 2002 Jul, Vol. 29, S. 202-220.
Mechthild Rausch: Von Danzig ins Weltall. Paul Scheerbarts Anfangsjahre 1863 – 1895. Mit einer Auswahl aus Paul Scheerbarts Lokalreportagen für den Danziger Courier. München 1997.
Franz Rottensteiner: Der Dichter des „anderen“: Paul Scheerbart als Science-fiction-Autor. In: Ders. (Hg.): Polaris 5. Ein Science-fiction-Almanach. Frankfurt/M. 1982, S. 226–241.
Beatrice Rolli: Paul Scheerbarts 'weltgestaltende Phantasiekraft' zwischen Utopie und Phantasmagorie. Eine Interpretation von 'Münchhausen und Clarissa. Ein Berliner Roman' als Einführung ins Gesamtwerk. Zürich 1983.
Christian Ruosch: Die phantastisch-surreale Welt im Werke Paul Scheerbarts. Bern 1970.
Ja Stuart: Unweaving narrative fabric: Bruno Taut, Walter Benjamin, and Paul Scheerbart's The 'Gray Cloth'. In: Journal Of Architectural Education, 1999 Nov, Vol. 53(2), S. 61-73.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Fr 12.05.2023 00:15