110120 PS Erweiterungsmodul Literaturwissenschaftliches Proseminar - Spanisch (2016S)

Inhalt: "[...] es que en la novela, como en el cine, se pueden crear todas las realidades, imaginar lo que aún no existe y detener el tiempo. Busquemos entonces, en la novela, la realidad de lo que la historia olvidó. Y porque la historia ha sido lo que es, la literatura nos ofrece lo que la historia no siempre ha sido", schreibt Carlos Fuentes in einer Rezension zu Tomás Eloy Martínez' "Purgatorio", einem der vier Romane, mit denen wir uns in dieser LV zur Aufarbeitung der argentinischen Militärdiktatur 1976-1983 in der Erzählliteratur des späten 20. und des 21. Jahrhunderts beschäftigen werden. Nach wie vor ist das Trauma jener Epoche, da ein staatsterroristisches Regime mit Entführungen, Folter und Ermordungen seine "guerra sucia" gegen die Opposition führte, in der argentinischen Literatur überaus präsent ("La dictadura es nuestra Shoa", erklärt Patricia Kolesnicov).
Im Zentrum der gemeinsamen Lektüre, Textanalyse und Diskussion werden folgende Werke stehen: zunächst - als frühe literarische Auseinandersetzung mit der Problematik - Ricardo Feiersteins Roman "Mestizo" (1988), postmoderner Detektivroman, dessen amnesischer Protagonist - Symptomträger nicht zuletzt einer politischen 'Pathologie' ("Olvidarse de quién era uno para poder sobrevivir") - seine Identität rekonstruiert, während parallel dazu die argentinische Gesellschaft nach mehreren "[a]ños de muertes y torturas y desapariciones" in eine bessere demokratische Zukunft aufbricht.
Was ist aus dieser Zukunft zwanzig Jahre später geworden? Eine wenig optimistische Antwort auf diese Frage gibt Martín Caparrós' Roman "A quien corresponda" (2008); Caparrós' Protagonist - ein desillusionierter alter Mann, dessen Frau unter den 'desaparecidos' bzw. 'desaparecidas' war - bietet eine sehr kritische Perspektive auf das postdiktatorische Argentinien und seine Strategien der Vergangenheitsbewältigung.
Im Mittelpunkt von Tomás Eloy Martínez' erwähntem Roman "Purgatorio" (2008) wiederum steht die verstörende Geschichte einer alternden Frau, Tochter des einstigen Chefpropagandisten der Militärjunta und Witwe - Witwe? - eines ebenfalls zur Zeit der Diktatur 'verschwundenen' jungen Mannes, dessen Gespenst ihr - Realität? Halluzination? - Jahrzehnte später in ihrem US-amerikanischen Exil begegnet.
Marcelo Figueras' "Kamchatka" (dem Roman aus dem Jahr 2003 ging das Drehbuch zum gleichnamigen Film unter der Regie von Marcelo Piñeyro voraus) schließlich rekonstruiert aus der Perspektive des erwachsenen Erzählers die Geschichte seiner Kindheit unter der Militärdiktatur: Das 'Abenteuer' eines zehnjährigen Jungen, der mit seiner Familie untertauchen und ein neues Leben unter falschem Namen beginnen muss, nimmt mit dem 'Verschwinden' der Eltern ein tragisches Ende.
Ausgehend von dem skizzierten Basiscorpus (je nach Interessenslage der LV-TeilnehmerInnen erweiterungsfähig) bietet die LV eine fundierte Einführung in die Geschichte und Literaturgeschichte Argentiniens im späten 20. und im 21. Jh., wobei wir unterschiedliche Zugangsweisen - narratologische Analyse und Diskussion historischer, ideologischer bzw. landeskundlicher Aspekte - verbinden und insbes. die Frage nach Status und Funktionen des literarischen Textes - Instanz nicht zuletzt einer widerständigen Erinnerung - in der Auseinandersetzung mit einer traumatischen politischen Vergangenheit reflektieren werden.

Ziele: Vertiefung der im Grundmodul erworbenen litwiss. Kenntnisse; Überblick über die argentinische Literatur des 20. und des 21. Jh. im historischen Kontext; Fähigkeit zur selbständigen Ausarbeitung und Präsentation eines litwiss. Themas in mündlicher und schriftlicher Form.

Methoden: Einführungsvorträge der LV-Leiterin + Diskussion; Referate, einzeln oder in Kleingruppen, je nach Wunsch und Teilnehmerzahl (eine Themenliste zur Auswahl wird angeboten, eigene Vorschläge im Rahmen der LV-Thematik sind willkommen); selbständiges Verfassen einer schriftlichen Proseminararbeit.