110122 SE Literaturwissenschaftliches Seminar (BA) - Französisch (2022W)

Die Poesie, so lautet ein berühmtes Diktum Hugo Friedrichs, habe "bis an die Wende zum 19. Jahrhundert […] im Schallraum der Gesellschaft“ gestanden, ehe sie mit dem Anbruch der Moderne und dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft mitsamt ihrer Rationalisierungslogik sich immer weiter von dieser entfernt habe. Tatsächlich sind die Entwicklungslinien und Formen der französischen Lyrik im langen 19. Jahrhundert sowie ihr Verhältnis zu den sozialen und politischen Realitäten der Moderne, mit denen sich dieses Seminar beschäftigen will, aber wesentlich vielfältiger und komplexer.

Das Seminar will diese Komplexität anhand eines Panoramas exemplarischer Lektüren von insgesamt neun Lyrikern zwischen Romantik und Avantgarden beleuchten. Ausgehend von einer Einführung in grundlegende historische und ästhetische Dimensionen der Moderne und die französische Geschichte des 19. Jahrhunderts schlägt das Korpus des Seminars einen Bogen von der romantischen Dichtung Alphonse de Lamartines und der Lyrik Victor Hugos über Charles Baudelaire als Paradigma moderner Dichtung hin zum Symbolismus und den Werken von Autoren wie Arthur Rimbaud, Paul Verlaine und Stéphane Mallarmé, um abschließend den Übergang zu den historischen Avantgarden anhand beispielhafter Lektüren von Guillaume Apollinaire, Tristan Tzara und André Breton zu beleuchten.

Der panoramatische und diachrone Ansatz des Seminars soll einen Einblick in die Entwicklungslinien der französischen Lyrik der Moderne erlauben, d.h. in ihre sich verändernden Produktions- und Rezeptionsbedingungen, den Wandel ihrer ästhetischen Formen und ihrer materiellen wie (sprach)philosophischen Voraussetzungen sowie in ihre jeweiligen historischen, politischen und sozialen Aussagefunktionen.

Konkrete Analysefähigkeiten lyrischer Texte sollen im Seminar ebenso geschult wie Kenntnisse zur Sozial-, Ideen- und Literaturgeschichte der Moderne erworben und vertieft werden.