Universität Wien

110141 SE Literaturwissenschaftliches Seminar (BA) - Französisch (2023S)

L'infra-ordinaire - ein Experimentalseminar zum Werk von Georges Perec

6.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 11 - Romanistik
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Voraussetzungen lt. Studienplan:
BA: Absolvierung der Grund- und Erweiterungsmodule (Pflichtmodule); Absolvierung des Sprachkurses der Stufe 3 dringend empfohlen
Lehramt: StEOP; Absolvierung der Module Sprach-, Literatur-, Medien- und Landeswissenschaft; Absolvierung des Sprachkurses der Stufe 3 dringend empfohlen

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 25 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch, Französisch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

Bitte beachten Sie das geblockte Format des Seminars! Es ist maximal ein Fehltermin erlaubt.

  • Freitag 10.03. 09:15 - 10:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35
  • Freitag 24.03. 09:15 - 12:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35
  • Freitag 31.03. 09:15 - 12:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35
  • Freitag 21.04. 09:15 - 12:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35
  • Freitag 26.05. 09:15 - 12:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35
  • Freitag 02.06. 09:15 - 12:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35
  • Freitag 09.06. 09:15 - 12:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35
  • Freitag 16.06. 09:15 - 10:45 Seminarraum 12 Romanistik UniCampus Hof 8 3B-O1-35

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Wenige Autor*innen der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts haben sich auf eine so experimentelle Art und Weise mit der Frage beschäftigt, inwiefern Literatur als Medium einer Reflexion und Dokumentation unserer Wahrnehmung von Zeit und Raum fungieren kann, wie Georges Perec (1936-1982).

Am Beispiel einer ganzen Reihe ausgewählter narrativer und essayistischer Texte Perecs - u.a. aus "Espèces d’espaces", "Lieux", "Penser/Classer", "Un homme qui dort" oder "Je me souviens" - wollen wir uns daher mit der Frage beschäftigen, inwiefern literarische Texte als Formen einer ästhetischen Modulierung von „Eigenzeiten“ (bzw. "Eigenräumen") gelesen werden können, welche sich kritisch mit innerhalb einer Gesellschaft postulieren Normen von Zeit und Raum auseinandersetzen können.

Das Werk Perecs bietet sich dafür aus mehreren Gründen an: Einerseits situiert es sich historisch in den 1960er und 70er Jahren im Kontext des französischen ‚Wirtschaftswunders‘ (der "Trente glorieuses") der Nachkriegszeit und damit in einer Phase eines ausgeprägten Modernisierungs- und Beschleunigungsdiskurses, den es kritisch betrachtet; andererseits arbeitet es mit experimentellen Schreibweisen der Raum- und Zeiterfahrung, die insbesondere Phänomene der Langsamkeit und der Entschleunigung als Teil des literarischen Schreib- und Leseprozesses selbst integrieren.

Darüber hinaus lässt sich Perecs Werk aber auch für eine kritische Reflexion unserer gegenwärtigen Formen von Zeitwahrnehmung und Mediengebrauch fruchtbar machen. Diese soll im Seminar nicht nur durch gemeinsame Lektüren theoretischer wie literarischer Texte geschult werden, sondern auch experimentelle Formate der Textproduktion einschließen. Im Anschluss an Perecs 'Experimentalpoetik' wollen wir eigene Texte zur Zeit- und Raumwahrnehmung produzieren, in denen wir auch unseren gegenwärtigen Medienkonsum und Formen unserer Welt- und Alltagswahrnehmung reflektieren, für die uns Perecs Überlegungen zum "infra-ordinaire" einen wichtigen Denkanstoß liefern.

Aus methodischer Sicht wollen wir außerdem über den Status und die Praxis von Literaturwissenschaft in der Gegenwart nachdenken: Was bedeuten die zunehmende und empirisch belegte Verknappung von Aufmerksamkeitsspannen, Lesekompetenzen und schriftlichen Kommunikationsformen sowie die Beschleunigung von Wahrnehmungsvorgängen und der Überhang visueller und auditiver Stimuli für traditionelle (und ästhetisch komplexe) Formen von Literatur und "langsamer" Lektüre?

Und zuletzt erlaubt uns das Seminar auch eine Reflexion über die Frage nach dem Zusammenhang von Zeitwahrnehmung und Lernprozessen im Sinne einer kritschen Perspektivierung des Beschleunigungsparadigmas, das seit den Bologna-Reformen das Wissenschaftssystem und die universitäre Lehre bestimmen: Phänomene wie die Bindung von Inhalten an Zeitaufwand ("ETCS"), die Sanktionierung der Überschreitung von Regelstudienzeiten oder die strenge Taktung von „outpoutorientierter“ Wissensproduktion haben die Wahrnehmung und das Verständnis von Lern- und Erkenntnisprozessen einer v.a. aus Sicht der Philologien kritisch zu betrachtenden Form von Zeitlichkeit unterworfen. Wenn philologische Praxis traditionell an Langsamkeit und Genauigkeit gebunden war und ihre Lektürepraxis in Formen von Versenkung und „deep attention“ ausprägte – welche Konsequenzen haben dann veränderte Normen und Formen von Zeit für die Disziplin und ihre Gegenstände?

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Die Endnote des Seminars setzt sich aus folgenden Teilleistungen zusammen:

1. Aktive Mitarbeit (20%)
2. Führen eines Seminar-Portfolios auf Moodle (10%)
3. Produktion von mindestens vier Kurz-Texten im Rahmen der experimentellen Textproduktion zur Raum- und Zeitwahrnehmung im Anschluss an Georges Perecs Projekt "Lieux". (30%)
4. Schriftliche Seminar- bzw. BA-Arbeit (40%), die bis 15.9. anzufertigen ist

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Alle Teilleistungen müssen mit mindestens "ausreichend" bestanden sein.

Details zum Bewertungsmaßstab - insbesondere der schriftlichen Arbeiten - werden im Seminar ausführlich erläutert.

Prüfungsstoff

Prüfungsstoff sind sowohl die im Seminar gelesenen Primärtexte aus dem Werk Perecs als auch die gemeinsam erarbeiteten soziologischen und philosophischen Texte zu Zeit- und Raumwahrnehmung sowie zum "slow reading".

Literatur

Alle Primär- und Sekundärtexte werden über Moodle zur Verfügung gestellt.

Literaturempfehlungen zum Werk George Perecs:
Bellos, David: Georges Perec, une vie dans les mots : biographie. Éds du Seuil, 1994.
Dettke, Julia: Raumtexte: Georges Perec und die Räumlichkeit der Literatur. Boston: Brill 2021.
Reggiani, Christelle: L'éternel et l'éphémère: temporalités dans l'oeuvre de Georges Perec. Amsterdam: Rodopi, 2010
Wilken, Rowan, and Justin Clemens (Hg.): The Afterlives of Georges Perec. Edinburgh University Press, 2017.

Literaturempfehlungen zu den historischen, theoretischen und methodischen Fragestellungen des Seminars:
M. Berg/B. Seeber: Slow Professor. Challenging the Culture of Speed in the Academy. Toronto: UT Press 2017.
Y. Citton: Pour une écologie de l’attention. Paris: Seuil 2021.
N. Elias: Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2017 [1988].
D. Mikics: Slow Reading in a Hurried Age. Cambridge (Mass.): Harvard University Press 2013.
H. Nowotny: Eigenzeit: Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1993.
H. Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

BA: BAR 11/14/15 F; LA: UF F 11

Letzte Änderung: Di 14.03.2023 11:28