117007 SE Theologische Hermeneutik (2003W)

Was geschieht, wenn aus gesprochener Sprache ein Text wird? Wie können Texte Medium von Offenbarung sein? Sind sie "Spiegel" für eine andere Wirklichkeit oder klägliches Menschenwerk? Gibt es die eine, wahre Interpretation oder eine Vielfalt gleichberechtigter Lesarten? Und wie verändern Texte ihre Leser? Mit solchen und ähnlichen Fragen hat sich Theologie auseinander zu setzen, denn als hermeneutische Wissenschaft hat sie es wesentlich mit Texten zu tun. Immer wieder neu versucht sie, die biblischen, theologischen, lehramtlichen Schriften zu verstehen und zur Sprache zu bringen.
Dabei erfahren diese Texte durch die Zeiten hindurch ganz unterschiedliche Interpretationen. Dies liegt nun nicht nur daran, dass unterschiedliche Menschen zu verschiedenen Zeiten die Texte lesen. Es verändern sich auch die Hermeneutiken selbst. Wer in den Texten ein verschlüsseltes Symbolsystem sieht, das Hinweise auf das Jenseits enthält, wird sie anders lesen als jemand, der in einem konkreten politischen Kontext nach Antworten sucht. Meist eher implizit denn explizit ist alles theologische Reden von der jeweiligen Hermeneutik beeinflusst. Dies zu reflektieren bedeutet, Interpretationskonflikte besser zu verstehen und Missverständnisse zu vermeiden.
In diesem Seminar soll einigen Hermeneutiken nachgegangen werden, die die Theologie- und Geistesgeschichte hervorgebracht hat. Die Reihe reicht von der typologischen Lektüre des Ersten Testaments über die im Mittelalter breit angewandte Lehre vom vierfachen Schriftsinn bis zu den durch Hans Georg Gadamer und Paul Ric¿ur geprägten Hermeneutiken der Gegenwart.