141086 KU Debatten um Erinnerungskulturen (2023W)

„Mehr Respekt. Mehr Offenheit. Mehr Zuhören. Das neue Erinnern“ – dieser Appell auf der Rückseite des Buchcovers zieht sich durch das neueste Buch der deutschen Publizistin und Auslandsreporterin Charlotte Wiedemann. Sie nimmt ihre Leser:innen auf eine sehr persönliche Reise durch die Welt und Weltgeschichte mit und lässt sie an ihren klugen Beobachtungen und Erkenntnissen teilhaben. Von Beginn weg benennt Wiedemann eigene vormals blinde Flecken, die ihr im Lauf von Jahrzehnten intensiver Auseinandersetzung mit Geschichte und Gesellschaften in unterschiedlichen Weltgegenden mehr und mehr bewusst wurden.
Das Kapitel „Unfreie Befreier. Über Krieg und Kolonialität“ etwa beginnt mit ihrer Erinnerung an den Moment, als ihr in Mali jemand „ein Foto von Schwarzen Soldaten in einem schneebedeckten Schützengraben“ (S. 15) zeigte. Da wurde ihr klar, dass auch afrikanische Soldaten gegen das nationalsozialistische Deutschland gekämpft hatten. Das war ihr bis zu diesem Zeitpunkt trotz intensiver Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus nicht bewusst gewesen.
Wiedemann hat im Laufe ihres Lebens in rund 30 außereuropäischen Ländern recherchiert. Sie, die unter anderem in Geo, Die Zeit, Le Monde Diplomatique, Qantara-Portal für den Dialog mit der Islamischen Welt, Südlink, und der TAZ publizierte, hat mit ihrem neuen Werk, das den Untertitel „Holocaust und Weltgedächtnis“ trägt, ein sehr notwendiges Buch geschrieben. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der titelgebende Appell „Den Schmerz der Anderen Begreifen“, der vordergründig so selbstverständlich erscheinen mag, von manchen als höchst kontrovers betrachtet wird. So mussten im vergangenen Jahr zwei Buchpräsentationen abgesagt bzw. verschoben werden (eine in Tel Aviv, eine in Wien). Das im Mai 2022 im Verlag Propyläen erschienene Buch reiht sich also nicht nur in inhaltlicher Sicht in die hitzige Debatte um Erinnerungskulturen ein, die im Frühjahr 2020 als sogenannte „Mbembe-Debatte“ begonnen hatte und seither, wenn auch mit etwas nachlassender Intensität, die Feuilletons im deutschsprachigen Raum beschäftigt.

In diesem Kurs, der sich als Guided Reading versteht, werden wir das Buch gemeinsam lesen und Kapitel für Kapitel diskutieren. Wir werden die Lektüre in die Debatte um Erinnerungskulturen einbetten, die seit 2020 stattfindet und insbesondere die afrikawissenschaftlichen Aspekte herausarbeiten. Teilnehmer:innen aus benachbarten Disziplinen, etwa Globalgeschichte, Zeitgeschichte, Internationale Entwicklung, Politikwissenschaften usw. sind sehr willkommen.

Vorgangsweise im Seminar:
• Lektüre und gemeinsame Diskussion von „Den Schmerz der Anderen Begreifen“ von Charlotte Wiedemann und von weiteren Texten zur Rezeption des Buches sowie zur breiteren Debatte um Erinnerungskulturen
• Ausarbeitung eines Essays im Umfang von 10 Seiten (inklusive Literaturliste), in dem einer aus der Lektüre des Buches hervorgehenden Fragestellung nachgegangen wird, und zwar unter Einbeziehung von weiteren (auch selbstrecherchierten) relevanten Quellen