Universität Wien

170125 UE Übung "Medienanalyse" (2014W)

Die Revolution der visuellen Narration. TV-Serien im 21. Jahrhundert

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Vorbesprechung im Schreyvogelsaal am Fr 10.10.2014 von 16:45-18:15
Block im Schreyvogelsaal am Sa 10.01., So 11.01., Sa 17.01. und So 18.01.2015 jeweils von 09:45-14:45

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 70 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine

Die Zeitangaben sind s.t.


Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Das Format der TV-Serie hat in den letzten Jahrzehnten so vielseitige Umwandlungen erfahren wie kaum ein anderes Medium. Vom Übergang von der einfachen Episodenserie, in der jede Folge über eine in sich geschlossene Handlung verfügt, über die Fortsetzungsserie, die eine nicht redundante, übergreifende Handlung bietet, bis hin zur neuen Generation des High-Quality-TVs, die zum Ende des 20. Jahrhunderts mit der HBO-Serie Sopranos einsetzt. Den Werken dieser neuen Welle, mit Vertretern wie Breaking Bad, Mad Men und vor allem The Wire, gehört das Hauptaugenmerk der Lehrveranstaltung. Die zentrale Frage, der sie sich widmet ist, ob das Serienformat sich in der Phase der neuen Welle der High-Quality-TV - Produktionen so stark transformiert und von seinen direkten Vorgängern gelöst hat, dass seine wissenschaftliche Betrachtung zwangsweise eine neue Methode mit sich bringen muss. Diese Methode kann nur pluralistisch angelegt sein.

Die Hochkonjunktur der Serie äußert sich nicht nur an der nicht zu überschauenden Masse neuer Produktionen und dem unerschöpflich scheinenden Budget, das ihnen zuteil wird, sondern genauso in der großen Zahl an Publikationen rund um das Phänomen der TV-Serie, die Zeichen einer stärker werdenden Resonanz innerhalb der Wissenschaft ist. Die Untersuchungen finden dabei in den verschiedensten Disziplinen statt. Sowohl die Soziologie, als auch die Gender und Cultural Studies und natürlich die Medienwissenschaft haben Serien längst als adäquates Forschungsgebiet für sich entdeckt. Zwei Aspekte, die bisher kaum Beachtung fanden und das, obwohl gerade sie den Kern der Serie ausmachen, sollen im Fokus der Lehrveranstaltung stehen: Die Narration und das Visuelle. Beides scheint so grundlegend zu sein, dass das Wesen der Serie als visuelle Narration zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Nur so lässt sich erklären, dass sich die Methoden, mit denen man sich dem Format nähert, kaum an jenen der Film-, Literaturwissenschaft oder Kunstgeschichte orientieren.

Die Narration befindet sich seit langer Zeit in einer misslichen Situation. Ob Walter Benjamin, der die Entfremdung vom Erzähler auf der sich ausbreitenden Erfahrungsarmut gründet, Paul Ricoeur, der einen gewissen Tod von Erzählkunst und Roman feststellt oder Wolfgang Müller-Funk, der vom Ende des Erzählens spricht, der Zustand narrativer Praktiken und Texte wird als ein prekärer wahrgenommen. Dabei ist es unerheblich, ob vom Erzählen im Sinne einer oralen Überlieferung, einem literarischen Text oder einer Gattung wie dem Roman die Rede ist. Die Krise zieht sich durch sämtliche Gebiete, die unter dem Begriff Narration subsumiert werden können. Dass die Krise einer kulturellen Praxis, die, wie unlängst Albrecht Koschorke umfassend gezeigt hat, zu den anthropologischen Grundbedürfnissen gehört und tief in gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt ist, weitreichende Auswirkungen hat, liegt auf der Hand. Jenen versucht man seither mit Bezeichnungen wie der transzendentalen Obdachlosigkeit, der Entfremdung oder dem Verlust des Subjekts ein Gesicht zu geben. Diesen Verfall des Erzählens gilt es neu zu kontextualisieren. Wie verhält er sich zum Format der Serie? Sie bedient sich einiger der großen Erzähltraditionen wie dem Gesellschaftsroman des 19. Jahrhunderts (The Wire), dem Epos (Game of Thrones) oder der griechischen Tragödie (Breaking Bad). In ihr amalgamieren sich zudem verschiedene Genres der Popkultur: Western, Gerichtsfilm, Arzt- oder Krankenhausserie, Familiendrama, Mafiagenre, Krimi und etliche andere bewegen sich in immer neue Konstellationen. Ihre Erzählstrukturen werden miteinander kombiniert, wodurch ein enormer Beziehungs- und Referenzreichtum erzeugt wird, dessen Untersuchung nicht auf positivistische Weise durchgeführt werden darf. Im Gegenteil: Zwar kommt es vor allem darauf an, die Erzähltraditionen, derer sich Serien bedienen, offenzulegen aber nicht, um die Übereinstimmungen mit ihnen zu finden, sondern um die Sollbruchstellen zu verorten.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Referat / Abschlussarbeit

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Die Lehrveranstaltung soll die narrativen Strukturen des Serienformats, sowie ihre ästhetischen Mittel aufzeigen. Dabei soll einerseits nachgezeichnet werden, welche narrativen Traditionen sich wiederfinden, andererseits soll sie als neue Form visueller Narration untersucht werden. Ziel ist es, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob mit dem Serienformat eine "neue Erzählform, die wir noch nich benennen können, im Entstehen begriffen” ist. (Gerard Genette)

Prüfungsstoff

Gemeinsame Lektüre, Referate

Literatur

Es werden vier Serien im Fokus stehen, die zumindest in groben Zügen bekannt sein müssen, besser natürlich vollständig gesichtet werden bis zu den Blockterminen im Januar: Sopranos, The Wire, Breaking Bad und Mad Men. Bei den Literaturangaben handelt es sich um grundlegende Texte, die den Kontext der Lehrveranstaltung bilden. Pflichtlektüre wird auf Modle begannt gegeben.

Adorno, Theodor W., Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1973.

Bachelard, Gaston, Poetik des Raumes, Frankfurt am Main 2011.

Bachtin, Michail M., Chronotopos, Frankfurt am Main 2008.

Benjamin, Walter, Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows, in: Benjamin, Walter, Medienästhetische Schriften, Frankfurt am Main 2002, S.127-S.151.

Benjamin, Walter, Städtebilder, Frankfurt am Main 1992.

Blanchet, Robert, Quality-TV. Eine kurze Einführung in die Geschichte und Ästhetik neuer amerikanischer TV-Serien, in: Blanchet, Robert, Köhler, Kristina [Hg.], Serielle Formen. Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Online Serien, Marburg 2011, S.37-S.72.

Engell Lorenz, Erinnern/Vergessen. Serien als operatives Gedächtnis des Fernsehens, in: Blanchet, Robert, Köhler, Kristina [Hg.], Serielle Formen. Von den frühen Film-Serials zu aktuellen Quality-TV- und Online Serien, Marburg 2011, S.115-S.132.

Engell, Lorenz, Zur Chemie des Bildes.} Bemerkungen über Breaking Bad, in: Freyermuth, Gundolf S. / Gotto, Lisa [Hg.]: Bildwerte. Visualität in der digitalen Medienkultur, Bielefeld 2013, S.195-S.207.

Eschkötter, Daniel, The Wire, Zürich 2012.

Genette, Gérard, Die Erzählung, Paderborn 2010.

Genette, Gérard, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt am Main 1993.

Kelleter, Frank [Hg.], Populäre Serialität: Narration - Evolution - Distinktion. Zum seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert, Bielefeld 2012.

Klein, Amanda Ann, ‘The Dickensian Aspect’. Melodrama, Viewer Engagement, and the Socially Conscious Text, in: Marshall, C.W. / Potter, Tiffany [Hg.], The Wire. Urban Decay and American Television, London / New York 2012, S.177-S.189.

Koschorke, Albrecht, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie, Frankfurt am Main 2012.

Lukács, Georg, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Form der großen Epik, Frankfurt am Main 1989.

Marshall, C.W. / Potter, Tiffany [Hg.], The Wire. Urban Decay and American Television, London / New York 2012.

Müller-Funk, Wolfgang, Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung, Wien 2008.

Pichler, Wolfram, Topologische Konfigurationen des Denkes und der Kunst, in: Ders. [Hg.], Topologie. Falten, Knoten, Netze, Stülpungen in Kunst und Theorie, Wien 2009, S.13-S.66.

Ric½ur, Paul, Zeit und Erzählung. Band I-III, München 2007.

Rohrwasser, Michael, Der Mob auf der Couch. Warum The Sopranos in Deutschland erfolglos bleiben, in: Vogt, Jochen [Hg.], MedienMorde, München 2005, S.145-S.160.

Sepinwall, Alan, The Revolution Was Televised: The Cops, Crooks, Slingers, and Slayers Who Changed TV Drama Forever, 2013.

Schröter, Jens, Verdrahtet. The Wire und der Kampf um die Medien, Berlin 2012.

Thompson, Robert J., Television's Second Golden Age. From Hill Street Blues to ER, New York 2008.

Weaver, Afaa M., Baltimore before The Wire, in: Marshall, C.W. / Potter, Tiffany [Hg.], The Wire. Urban Decay and American Television, London / New York 2012, S.15-S.21.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

gilt für I.3.5.

Letzte Änderung: Mo 07.09.2020 15:36