170154 VO Theatergeschichtsschreibung als kulturelle Praxis (2007W)

Theater ereignet sich im Moment und bedarf prinzipiell weder der Dokumentation noch der nachträglichen Analyse. Trotzdem avancierte Theater in der Neuzeit zu einem ebenso wichtigen wie problematischen Gegenstand der Wissenskultur. Reiseberichte, die Theaterfeindlichkeitsdebatte und die Poetik des Dramas erweisen sich im 16. und 17. Jahrhundert als Entwicklungsfelder für Diskurse, die sich im 18. Jahrhundert zur Literaturgattung ¿Theatergeschichte¿ verdichten. Das dabei entstandene Theatergeschichtsbild ist von der Absicht geprägt, aus der historischen Perspektive ein künftiges Nationaltheater zu entwerfen. Die dem Theaterbegriff in diesem Zusammenhang eingeschriebenen Ideologien wirken im 19. und 20. Jahrhundert weiter, während zunehmend und bis hin zur Institutionalisierung einer universitären Disziplin um einen ¿wissenschaftlichen¿ Umgang mit Theater gerungen wird. Erst innerhalb derselben ist der Versuch zu konstatieren, die Herausbildung modernen Theaters unter veränderten Vorzeichen und mit alternativen Gewichtungen zu beschreiben: etwa durch die Neuverortung von Theater im konkreten soziokulturellen Umfeld statt in der ¿Nation¿ oder durch die Sprengung des bürgerlichen Theaterbegriffs in der Erforschung von Theatralitätsgefügen.
Die Vorlesung untersucht die Theatergeschichtsschreibung der Neuzeit als kulturelle Praxis und versucht dadurch, Strukturen und Schichten der gängigen Theatergeschichtsbilder in ihrer oftmals kulturkämpferischen Intentionalität zu reflektieren. Daraus lassen sich Überlegungen zu einer ¿Theatergeschichte der Gegenwart¿ ableiten.
Die Vorlesung richtet sich u.a. an Studierende, die mit methodologischen Fragen der Theaterhistoriographie oder mit fachgeschichtlichen Diplomarbeiten beschäftigt sind und insonderheit an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forschungsseminars ¿Theaterhistoriographie und Archiv¿. Themenvorschläge der Studierenden können in der ersten Vorlesung eingebracht werden.