Universität Wien

170518 UE Dokumentarfilm als Spekulation (2015S)

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Beschränkte Teilnehmerzahl, max. 162
Unkostenbeitrag: 32 EUR
Blocklehrveranstaltung, wird zur Gänze abgehalten im Österreichischen Filmmuseum

Die Anmeldung erfolgt über UNIVISonline, angemeldete Studenten/-innen werden in der Woche nach der Anmeldungsfrist über Ihre Aufnahme und den Ankauf der Karten informiert. (Nach Maßgabe der Plätze ist Nachmeldung bis zum 25. März per Email an Joachim Schätz möglich.) Zwischen 16. März und 3. April muss im Filmmuseum der Unkostenbeitrag entrichtet und das Teilnahmekärtchen abgeholt werden - Augustinerstraße 1 (Mo-Do 10-18 Uhr, Fr 10-13 Uhr). Andernfalls werden sie abgemeldet und freigewordene Plätze werden der Reihung entsprechend an die Warteliste weitergegeben.

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 162 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine

Blocktermine im Filmmuseum: 20.4., 23.4., 24.4., 27.4., immer 10:30-17:00 Uhr


Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Dokumentarfilme stellen Zusammenhänge her, um Geschehenes zu belegen, aber auch um Mögliches zu entwerfen. Dabei prägen sie der Beobachtung Ideen auf, ermöglichen aber auch ein Denken "durch die Dinge" (Siegfried Kracauer), aus dem Gewebe des Wirklichen heraus. Sie vermitteln zwischen dem "wissenschaftlichen Bild" der Welt und dem "manifesten Bild" menschlicher Wahrnehmung - und führen dabei die Kluft zwischen beidem vor Augen.

Diese spekulativen Züge sind konstitutiver Teil des Dokumentarfilms, wie ihn der britische Filmemacher John Grierson Ende der 1920er Jahre definierte: als "creative treatment of actuality". Die Definition greift später der Filmhistoriker Tom Gunning auf: Ein genuin dokumentarisches Kino, das Welt nicht primär beobachtet, sondern poetisch wie argumentativ ordnet, sieht er mit den Propagandabemühungen des Ersten Weltkriegs entstehen.

Die Lehrveranstaltung geht verschiedenen Ausformungen solchen argumentativen und spekulativen Denkens im Dokumentarfilm nach. Dabei sind weniger Entwicklungsgeschichten des Dokumentarischen "from raw to refined" (ein wichtiges Narrativ des industriellen Kapitalismus) angedacht als gemeinsame Konzepte und Probleme scheinbar disparater, zwischen Authentizitätsanspruch und Gestaltungswillen oszillierender dokumentarischer Formen. Untersucht werden Arrangements "vorgefundener" Wirklichkeit und formal-ästhetische Praxen des "dokumentarischen" Argumentierens und Fabulierens zwischen Propaganda- und Essayfilm, zwischen klassischem Laufbild und Produkten digitaler Bildsynthese. In Frage stehen Zukunftsentwürfe aus dem Material der jeweiligen Gegenwart, aber auch die Ausdeutung des Vergangenen in Reenactment und Archivfilm.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Anwesenheit, Diskussion, Gruppenarbeit

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Die konkrete Anschauung, die Erfahrung von Filmen im Kino ist zentraler Ausgangspunkt für ein Verständnis des Mediums Film. Das Filmmuseum bietet dafür den adäquaten Ort und das Anschauungsmaterial aus der eigenen Sammlung.
Im Kontext von sich gegenseitig kommentierenden Filmpaaren- und Paarungen, die wiederum selbst um größere Theoriekomplexe gravitieren, werden programmatische Überlegungen der Filmemacher (und auch: der Programmgestalter) sinnlich erfahrbar gemacht und zur Diskussion gestellt.

Prüfungsstoff

Begriffe zur Diskussion stellt zum einen eine Auswahl von Texten bereit, die sich mit der Praxis der Spekulation befassen: in der Dokumentarfilmtheorie, im Umfeld der jüngeren Theoriebewegung eines "spekulativen Realismus", aber etwa auch in Jacques Rancières Befund, nicht die Realität wäre in der aktuellen Laufbildproduktion bedroht, sondern die Fiktion: "Fiktion als Neuzusammensetzung der Formen der sinnlichen Erfahrung zu ganz neuen Verbindungen, die die qualitative Ökonomie der Ähnlichkeiten und die quantitative Ökonomie der Intensitäten verschieben." In einem ähnlichen Sinn hat der deutsche Schriftsteller Rainald Goetz kürzlich sein eigenes Programm eines spekulativen Wirklichkeitsbezugs ausgerufen: "Spekulation, reine Spekulation, nein, angewendete (...). Durch solche Denkaktivitäten bin ich, auf der Suche nach einer Theorie des Schreibens von Romanen (...) auf die Idee gekommen, dass der Realismus, der mich so unentrinnbar fasziniert (...), sich eben nicht einfach nur in der Faktizität dessen, was ist, erschöpft, sondern erst aus allen Möglichkeiten, die im Gegebenen mitgegeben sind, seinen Sinn bekommt."

Wie Spekulation als angewandte zu denken ist, damit wird sich die Übung befassen: Entscheidend ist die Übersetzung der versammelten Begriffe mit der Erfahrung der Kinoprojektion. Die Filme - unter anderem von Bruce Baillie, Gerhard Friedl, Robert Gardner, Claude Lanzmann, Tatiana Lecomte, Ivette Löcker, Geoffrey Malins & John McDowell, Walter Ruttmann - werden überwiegend in voller Länge gezeigt. Abgeschlossen werden kann die LV mit Gruppenarbeiten, die sich mit vorgestellten Filmen und Konzepten auseinandersetzen.

Literatur

Auswahl mit Bezug auf den Einführungstext:

Armen Avanessian: "Altermodernes Erzählen von Referenzeffekten. Überlegungen zu einem gegenwärtigen Realsimsu in zeitgenössischer Theorie und der TV-Serie The Wire", in: Dirck Linck, Michael Lüthy, Brigitte Obermayr und Martin Vöhler (Hg.): Realismus in den Künsten der Gegenwart, Berlin/Zürich 2010, S. 51-71.
Rainald Goetz, "Spekulativer Realismus", in: Texte zur Kunst, Heft Nr. 93, März 2014, "Spekulation", S. 135-144.
Tom Gunning, "Before Documentary: Early nonficton films and the ‘view’ aesthetic", in: Daan Hertogs, Nico de Klerk (Hg.): Uncharted territory: essays on early nonfiction film, Amsterdam 1997, S. 9-24.
Jacques Rancière: "Die schwierige Fiktion (Resnais, Chaplin, Allen)" und "Etwas ist mit dem Realen geschehen", in: Ders.: Und das Kino geht weiter. Schriften zum Film, Berlin 2012, S. 21-28, S. 137-145.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Mo 07.09.2020 15:36