Universität Wien

180006 SE Leidenschaften und Interessen (2011S)

Die neuzeitliche Moralphilosophie und das Problem der Affektkontrolle

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Beginn: 08.03.2011

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Details

max. 45 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

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Dienstag 01.03. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 08.03. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 15.03. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 22.03. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 29.03. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 05.04. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 12.04. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 03.05. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 10.05. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 17.05. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 24.05. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 31.05. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 07.06. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 21.06. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Dienstag 28.06. 13:00 - 15:00 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit den Leidenschaften ist eine der großen Konstanten in der neuzeitlichen Moralphilosophie. Sie wird in dieser einführenden LV auch das leitende Thema für einen breit angelegten Streifzug durch den Diskurs abgeben. In Anlehnung an die mittlerweile klassische Studie Leidenschaften und Interessen von Albert O. Hirschman lassen sich dabei drei Ansätze nachzeichnen, die auf jeweils unterschiedliche Weise auf die Herausforderungen, die die ungezügelten Leidenschaften und der Egoismus stellen, reagieren.

(1.) Die Unterdrückung der Leidenschaften: die Vorstellung, dass man die Aufwallungen der Psyche unterdrücken oder auslöschen könne, bildet in gewisser Weise die Hintergrundfolie für die späteren Entwicklungen in der Moralphilosophie. Während die religiöse Variante durch Zwang und Repression vorgeht (Calvin, von Loyola), kultiviert die philosophische Variante in der Nachfolge der stoizistischen Vorbilder geistige Übungen, die die Überlegenheit der Vernunft über die Affektivität beweisen sollen (Lipsius). Eine spätere Abwandlung dieser intellektualistischen Unterwerfung der Leidenschaften liegt mit Kants Moralphilosophie vor.

(2.) Die Instrumentalisierung der Leidenschaften: mit Descartes setzt eine neue wichtige Tradition ein, die ebenfalls auf die Vernunft setzt, nun aber die Leidenschaften instrumentalisieren, also als Triebfedern nutzen will - eine Einstellung, die etwa (wenn auch in egozentrischer Weise) von Bernard de Mandeville verfochten wird.

(3.) Die gegenseitige Neutralisierung der Leidenschaften: die Idee, dass Leidenschaften niemals von der Vernunft, sondern nur von einer gleichursprünglichen Kraft bekämpft werden können, wurde erstmals von Spinoza und dann von David Hume vertreten. Damit wurde die Moralphilosophie einerseits von idealistischen Überhöhungen befreit, andererseits war damit die Rehabilitation zumindest gewisser Leidenschaften eröffnet - vor allem derjenigen, die sich ruhig oder zumindest geordnet äußern.

Für diese ruhigen und berechenbaren Leidenschaften wurde mit der Zeit ein aus dem Zinswesen bekannter Begriff eingeführt: das Interesse. Der alten Dichotomie von Vernunft und Leidenschaft konnte mit dem Interessensbegriff ein Mittleres eingeschoben werden, das für die Entwicklung der Moralphilosophie, der Staatstheorie und der politischen Ökonomie eine nicht zu überschätzende Bedeutung erhalten sollte. Der Zwischenstatus des Interesses sollte vor der Destruktivität der Leidenschaften wie auch der Wirkungslosigkeit der Vernunft schützen. Ein Mittelweg zwischen Materialismus und Idealismus schien gefunden.

Im Laufe des Proseminars sollen klassische Texte der neuzeitlichen Moralphilosophie im Hinblick auf diese zunehmende Zähmung der Leidenschaften durch das ökonomisch kanalisierte Interesse erschlossen werden. Bei Francis Hutcheson beginnt das Interesse, das er mit Selbstliebe gleichsetzt, einen zumindest neutralen Stellenwert anzunehmen - eine Tendenz, die sich bei David Hume fortsetzt, wenn er etwa die Entstehung der Rechtsordnung aus dem Willen zur Sicherung von Einzelinteressen herleitet. Adam Smith und Helvetius konstruieren dann bereits moralische Hierarchien von Interessen. Bei Jeremy Bentham wird schließlich die Forderung nach einer Abstimmung von Einzel- und Allgemein-Interessen explizit - ein Motiv, mit dem die utilitaristische Tradition ihren Siegeszug antritt.

Dabei kommt dem Interessenbegriff selbst eine nicht unerhebliche Zweideutigkeit zu: denn er umfasst nicht nur die Bedeutungen Aufmerksamkeit, Bestreben etc., sondern eben auch die ökonomische Bedeutungen Zins; Vorteil, Gewinn. Kein Wunder also, dass man in der Neuzeit das Erwerbsstreben zunehmend als beste, weil berechenbarste Lösung für das moralphilosophische Problem der Zähmung der Leidenschaften ansah - und der Kapitalismus als die ideale Kanalisierung der Leidenschaften erscheinen musste, wie etwa bei Smith oder Bentham.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Aktive Teilnahme an den Diskussionen bzw. Kleingruppenarbeiten, Referat und/oder schriftliche Arbeit.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Ziel des Seminars ist es, durch die Lektüre ausgewählter Textpassagen aus einigen der wichtigsten ethischen Werke der Neuzeit ein Bewusstsein für ihr Fortwirken in der Gegenwart aufzubauen. Angesichts der Krise des Kapitalismus und der Kritik an der ungezähmten Habgier in Politik und Wirtschaft soll auch die Frage diskutiert werden, ob die Zähmung der Leidenschaften durch die scheinbar berechenbaren Interessen wirklich so erfolgreich ist, wie man es sich in der Epoche der Aufklärung erhofft hat.

Prüfungsstoff

Vortrag, Referate, gemeinsame Lektüre, Kleingruppenarbeit, Erarbeitung von Fragestellungen, Gruppendiskussion

Literatur

Ausgewählte Stellen aus:

Rene Descartes, Die Leidenschaften der Seele, Hamburg 1996.
Baruch de Spinoza: Ethik, in geometrischer Ordnung dargestellt, Hamburg 1999. ,
David Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur, Buch II und III, Hamburg 1978.
Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle, Hamburg 1985.
Bernard de Mandeville, Die Bienenfabel, Ffm 1998.
Helvetius, Vom Geist, Berlin 1973.
Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Hamburg 2003.
Jeremy Bentham, Principien der Gesetzgebung, Ffm 1966.

Albert O. Hirschman, Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, Ffm 1980
Gertraude Krell, Richard Weiskopf, Die Anordnung der Leidenschaften, Wien 2006
Charles Taylor, Quellen des Selbst, Ffm 1994
Michael von Grundherr, Moral aus Interesse. Metaethik der Vertragstheorie, Berlin 2007
Norbert Hoerster, Ethik und Interesse, Ditzingen 2003

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

BA M 6.2, § 4.1.3, PP § 57.3.4

Letzte Änderung: Mo 07.09.2020 15:36