Universität Wien

180062 SE Rassenkriege und Beamtenengel (2011S)

Biopolitik und Gouvernementalität bei Michel Foucault und Giorgio Agamben im Vergleich

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

FR 13 - 17 HS 2H
an den Tagen: 4.3., 11.3., 18.3., 1.4., 8.4., 15.4., 13.5.,
Der letzte Termin am 13. 5. ist ausnahmsweise 5-Stündig 13 -- 18h

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 45 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine

Zur Zeit sind keine Termine bekannt.

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Giorgio Agamben erklärt in 'Homo Sacer 1. Die souveräne Macht und das nackte Leben' Foucaults Definition der Biomacht in 'Wille zum Wissen' und 'In Verteidigung der Gesellschaft' zur soliden Grundlage, aber auch zur unvollständigen Vorstufe seiner eigenen Arbeit zum 'nackten Leben'. Zu fragen ist daher ob die wesentlichen Bestimmungen der Biomacht bei beiden Autoren überhaupt so weit kompatibel sind, dass Agamben zu Recht beanspruchen kann, Foucaults Position zu erweitern, zu vertiefen und fortzusetzen.
Wesentliche Unterschiede und somit auch wesentliche Elemente der Bestimmung von Biopolitik betreffen:
Agambens Bestimmung einer transhistorischen, in der Moderne noch radikalisierten Souveränität, die das Gegenstück eines von ihr zugleich getrennten und adressieren, 'gebannten' 'nackten Lebens' bildet. Diese Definition unterscheidet sich grundsätzlich von der Foucaults, bei dem Souveränität eine begrenzte historische Formation bildet, die strukturell und historisch der Biopolitik vorausgeht.
In einem weiteren Schritt wird dann bei Foucault der Hintergrund der konkreten Einführung der Biopolitik im Rahmen einer Archäologie der Sexualität und deren Beziehung zu einem ihr vorhergehenden Regime der Disziplin gewürdigt. Für beides finden sich wiederum keine konkreten Entsprechungen bei Agamben.
Während Agamben Rechtbegriffe neu belebt, die bis auf die römische Antike zurückweisen und somit in einem historischen Kontinuum operiert, das als solches nur durch die Kontinuität einer bestimmten Rechtstradition möglich ist, grenzt Foucault das Recht als Diskurs ein und weist ihm sowohl innerhalb einer Typik der Machtformen wie auch innerhalb seiner an Diskontinuitäten orientierten Historiographie jeweils nur begrenzte Relevanz zu.
n einer ganz anders gelagerten früheren Schrift 'Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte' bestimmt Foucault den klassischen Rechtsdiskurs aber wiederum als begrenzte historische Formation, der in Form des modernen Rassen- und Klassenkrieges eine völlig andere Machtform gegenübertritt.
Aufgrund dieser Foucaultschen Bestimmung der Rasse wird nun ein genauerer Vergleich zwischen den jeweiligen Rassen- und Rassismuskonzepten bei Foucault und Agamben angestellt. Schließlich hat Agamben Foucault ja zum Vorwurf gemacht, er habe die modernen Totalitarismus nicht hinreichend gewürdigt. Zudem hat er für sich in Anspruch genommen, im Lager als Paradigma der Moderne eine biopolitische Struktur entdeckt zu haben, die sich grundsätzlich von Foucaults Einschließungsinstituten und dem ihnen zugeordneten Disziplinarregime unterschieden. Zu prüfen ist d.h. ob das Gefängnis und die Kaserne nicht sehr wohl strukturelle und historische Voraussetzungen des Lagers bilden, ohne die das moderne Lager nicht zu denken wäre, auch wenn in jenen das 'nackte Leben' noch nicht in seiner reinsten Form in Erscheinung tritt.
Allerdings hat Foucault zwar kurz, aber prägnant, den Nationalsozialismus als die extreme Form der Biopolitik sehr wohl gewürdigt, indem er gerade auf dessen hybride Vermischung von klassischer Souveränität und modernen Biopolitik hinwies.
Die Konstellation von Focault und Agamben wird ansatzweise bis in Foucaults letzte Leitthematik von Bipolitik und Machttheorie – die 'Gourvernementalität' als Mentalität des Regierens – verfolgt, deren Grundlagen Agamben im zuletzt übersetzten Abschnitt von 'Homo Sacer' 'Herrschaft und Herrlichkeit' in einem theologisch tradierten Ökonomie-Begriff zu finden glaubt.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Grundlage des Zeugniserwerbs sind regelmäßige Anwesenheit, Diskussion, Referate und eine schriftliche Abschlussarbeit.
Es gibt einen Handapparat, der käufliche Erwerb von Literatur wird nicht erwartet.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Prüfungsstoff

SE, dh. gemeinsame Lektüre und Diskussion von Texten und Problemen aufgrund von Referaten der TeilnehmerInnen, die erste LV gebe ich eine Einfhrung in die Themen.

Literatur

Agamben, Giorgio: Homo Sacer 1. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1995.
- Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge (Homo Sacer III), (Quel che resta di Auschwitz, 1998), Frankfurt/Main: Suhrkamp 2003.
- Die kommende Gemeinschaft. Aus d. Ital. von Andreas Hiepko, Berlin: Merve-Verl. 2003.
- Die Beamten des Himmels. Über Engel; gefolgt von der Angelologie des Thomas von Aquin, Aus dem Ital. übers. und hrsg. von Andreas Hiepko, Frankfurt am Main: Verl. der Weltreligionen 2007.
- Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung. (Italien. Ausg. 2007, Homo Sacer II.2), Suhrkamp, Frankfurt am Main 2010.
Böckelmann, Janine/Frank Meier (Hg.): Die gouvernementale Maschine. Zur politischen Philosophie Giorgio Agambens, Unrast Verlag, Münster, 2007.
Bröckling, Ulrich/ Susanne Krasmann, Thomas Lemke (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000.
Foucault, Michel: Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte, Hrsg.: Walter Seitter, Berlin: Merve 1986.
- Sexualität und Wahrheit 1. Der Wille zum Wissen. Frankfurt/Main 1979.
- In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975-76), Aus dem Französischen von Michaela Ott, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999.
- Die Wahrheit und die juristischen Formen. Frankfurt a.M. 2003.
- Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Colleges de France 1977/1978, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004.
- Diverse Aufsätze aus 'Dits et Écrits', Schriften in vier Bänden, hrsg. von Daniel Defert, Suhrkamp 1994ff.
Lemke, Thomas: Die politische Ökonomie des Lebens – Biopolitik und Rassismus bei Michel Foucault und Giorgio Agamben. http://www.thomaslemkeweb.de/publikationen/Die%20politische%20%D6konomie%20des%20Lebens%20II.pdf.
Zakravsky, Katherina: 'Enthüllungen. Zur Kritik des '. In: Ludger Schwarte (Hg.): Auszug aus dem Lager. Zur Überwindung des modernen Raumparadigmas in der politischen Philosophie. Bielefeld: Transcript 2007, S. 59-78.
- Niemandsland der Ähnlichkeit. Zur Grammatik des 'Lagers'. In: Zonen. Essays zur Kritik des Lagers, hg. von Michaela Schweighart, erscheint bei Passagen 2009.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

BA M 6.2, § 4.1.3, PP § 57.3.4

Letzte Änderung: Mo 07.09.2020 15:36