Universität Wien

180080 SE Kritik der weißen Vernunft (2022S)

Immanuel Kant im Kontext zeitgenössischer Debatten

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

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Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 25 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

  • Dienstag 08.03. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 15.03. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 22.03. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 29.03. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 05.04. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 26.04. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 03.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 10.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 17.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 24.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 31.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 14.06. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 21.06. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228
  • Dienstag 28.06. 13:15 - 14:45 Hörsaal 2i NIG 2.Stock C0228

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Im Kontext postkolonialer Geschichtsaufarbeitung und der Black-Lives-Matter-Bewegung, der Me-Too-Bewegung und der gesellschaftlichen Neuevaluierung unserer Beziehung zu nicht-menschlichen Tieren, hat sich eine neu Kritikfront gegen Kant gebildet. Kantforschung und Universitäten geraten zunehmend in die Bringschuld, sich erklären zu müssen, warum man sich noch mit Kant beschäftigt, wenn doch offensichtlich rassistische und sexistische Äußerungen in seinem Werk zu finden sind. Doch wie ist es möglich, dass Immanuel Kant als Leitfigur der Aufklärung und Befürworter der universellen, unveräußerlichen Menschenwürde, rassistisches Gedankengut vorgeworfen wird? Inwiefern lassen sich die Vorwürfe bestätigen, differenzieren oder entkräften? Was bedeuten sie für unsere Rezeption von Kants Schriften in Forschung und Lehre?

Mit speziellem Fokus auf die mittlerweile auch in Europa fortgeschrittene Rassismusdebatte, aber auch mit Hilfe von feministischer und tierethischer Kritik, ist es Ziel des Seminars, sich mit (1) zeitgenössischer Kritik an Kants Moralphilosophie und den unterschiedlichen Verteidigungs-, und Differenzierungs- und Reformierungsstrategien, auseinanderzusetzen. (2) Mit einem reflexiven Blick auf die Philosophie soll anhand vom Beispiel Kant diskutiert werden, inwiefern die aktuellen Debatten zu grundlegenderen Fragen führen, die für das Selbstverständnis der Philosophie, die Kanonbildung philosophischer Texte aber auch unser kulturelles Selbstverständnis wichtig sein könnten.

Ausgehend von den terminologischen und methodischen Zugängen des noch jungen Forschungsfeld der (Critical) Philosophy of Race werden die Grundlagen erarbeitet, um uns anschließend den Textstellen zu widmen, die in der Kritik stehen. Mit einer historischen und einer werksystematischen Lektürestrategie werden die Ausschnitte zu Kants Theorie der Menschenrassen aus den einschlägigen (u.a. wenig bekannten) Schriften analysiert und in Kants Gesamtwerk kontextualisiert. Die orthodoxe Auslegung von Kants zentralen moralphilosophischen Konzepten (u.a. Person, Menschenwürde, Selbstzweckformel) soll alternativen Interpretationen (Bernasconi, Eze, Kleingeld, Mills) gegenübergestellt werden.

Unter Einbezug von feministischer Kritik soll Kants Moralphilosophie auch unter einer geschlechtsspezifischen Perspektive beleuchtet werden. Ein Vergleich zu Genderfragen bietet sich darum an, weil auch hier Kants Kategorisierung der Frauen als „passive Bürger“ der Idee eines egalitären Weltbürgertums zuwiderläuft.
Seit dem neusten Buch der einflussreichen Kantianerin Christine Korsgaard „Fellow Creatures“ sind Kantverfechter darüber hinaus gezwungen, sich mit tierethischen Einwänden auseinander-zusetzen. Lange von der Kantforschung ignoriert, gilt es, diese ernst zu nehmen. Denn sie stellen zentrale Bausteine in Kants Moralphilosophie in Frage, so z.B. den reziproken Pflichtbegriff. Wie jedoch Onora O’Neill bemerkt hat, ist es einfach, die moralische Berücksichtigung von Tieren zu fordern, aber schwierig sie in einer kantianischen Ethik zu begründen. Wäre es vor dem Hintergrund dieser Problemstellungen nun angezeigt, Kant gänzlich zu „canceln“ und sich einer anderen Ethiktradition zuzuwenden? Abschliessend soll in einem konstruktiven Beitrag ausgelotet werden, ob und wie es möglich ist, Kants Ethik zu reformieren und wie emanzipatorische Aspekte seiner Philosophie fruchtbar gemacht werden können.

Voraussetzungen:
- Grundkenntnisse von Kants Moralphilosophie sind von Vorteil, werden aber nicht vorausgesetzt. Die zentralen Konzepte seiner Ethik werden zu Beginn des Seminars erläutert und repetiert.
- Bereitschaft, sich mich Kants Schriften intensiv auseinanderzusetzen.
- Hinweis: In der Auseinandersetzung mit Kants Philosophie werden rassistische Sprache und Vorurteile diskutiert.

Lehr- und Lernmethoden: Vorträge durch den Lehrveranstaltungsleiter, Kurzvorträge durch Studierende, Close Reading, Diskussionen und Gruppenarbeiten

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

1. Lektürekommentare ( je 2–3 Seiten): 30%
2. Essay oder Seminararbeit (7–12 Seiten): 70%
3. Abgabe eines Sitzungsprotokolls
4. Halten eines Kurzvortrags

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Für eine positive Seminarberuteilung sind alle vier Teilleistungen und insgesamt eine "genügende Leistung" (Note: 4) zu erbringen.

Prüfungsstoff

Literatur

Zur Einführung empfohlen
- Frederickson, George M. (2011): Rassismus, Stuttgart: Reclam.
- Henning, Tim (2016): Kants Ethik. Eine Einführung, Stuttgart: Reclam.
- Esser et al. (2020–21): Kant - Ein Rassist? Interdisziplinäre Diskussionsreihe der berlin-brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Wissenschaftliche Organisation: Andrea Esser, Michael Hackl, Dietmar Heidemann, Dieter Schönecker, Marcus Willaschek.
Online unter: http://kant.bbaw.de/arbeitsstelle/veranstaltungen

Kant, Immanuel (1900ff.): Gesammelte Schriften, 32 Bände. Hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin/New York: DeGruyter.
Online zugänglich unter:
https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/kant/verzeichnisse-gesamt.html

- Altman, Matthew C. (2014): Animal Suffering and Moral Character. In: Altman, M.C.: Kant and Applied Ethics. The Uses and Limits of Kant’s Practical Philosophy, Malden: Wiley Blackwell, 13–24.

- Bernasconi, Robert (2011) ‘Kant’s Third Thoughts on Race’. In Elden, Stuart/Mendieta, Eduardo (eds):Reading Kant’s Geography (Albany, NY: SUNY Press), pp. 291–318

- Camenzind, Samuel (2020) Instrumentalisierung. Zur einer Grundkategorie der Ethik der Mensch-Tier-Beziehung, Paderborn: Mentis.
- Eze, Emmanuel Chukwudi (1995): The Color of Reason: The Idea of "Race" in Kant's Anthropology. In: The Bucknell Review, 38, (2),200–241.
- Grimm, Herwig/Camenzind, Samuel Aigner, Andreas (2016): Tierethik. In: Borgards, R. (ed.): Tiere. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart: Metzler, 78–97.
- Kleingeld, Pauline (2019): On Dealing with Kant’s Sexism and Racism. In: SGIR Review, 2 (2), 3–22.
- Kleingeld, Pauline (2007): Kant’s Second Thought on Race. In: The Philosophical Quarterly, 57 (229), 573–592.
- Kleingeld, Pauline (1993): The Problematic Status of Gender-Neutral Language in the History of Philosophy. The Case of Kant. In: The Philosophical Forum, 25 (2), 134–150.
- Korsgaard, Christine M. (2018): Fellow Creatures. Our Obligation to Other Animals,
Oxford: Oxford University Press.
- Korsgaard, Christine M. (2013): Interacting with Animals: A Kantian Account. In: Beauchamp, Tom L./Frey, Raymond G. (Hrsg.) (2013): The Oxford Handbook of Animal Ethics, Oxford: Oxford University Press, S. 91–118.
- Louden, Robert B. (2000): Kant’s Impure Ethics. From Rational Beings to Human Beings New York, Oxford: Oxford University Press.

- Mills, Charles W., (2016). Critical Philosophy of Race. In: H. Cappelen, T. Gendler, and J. Hawthorne, (eds): The Oxford Handbook of Philosophical Methodology. Oxford: Oxford University Press, 709–732.

- Mills, Charles W. (2017): Black Rights/White Wrongs: The Critique of Racial Liberalism, Oxford: Oxford University Press.

- Mills, Charles W. (1998): Blackness Visible: Essays on Philosophy and Race, Ithaca/London: Cornell University Press.

- Nagl-Docekal, Herta (2000): Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag.

- O’Neill, Onora (1998): Kant on Duties Regarding Nonrational Nature II. Necessary Anthropocentrism and Contingent Speciesism. In: Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Volumes 72, S. 211–228.
- Wood, Allen W. (1998): Kant on Duties regarding Nonrational Nature I. In: Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Volumes 72, S. 189–210.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Fr 09.09.2022 12:28