Universität Wien

180083 VO Hass (2022S)

Zu Formen öffentlicher Feindbildgenerierung als Mittel politischer Wir-Gruppen-Bildung

3.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie

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Details

Sprache: Deutsch

Prüfungstermine

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

Achtung: Ein Teil der VO findet online statt! (Änderung 15.03.2022)
Aller Voraussicht nach wechseln wir ab 16.05. auf Präsenzlehre. Die Links zu den online-Vorlesungen finden Sie auf Moodle. Ich hoffe auf Ihr Verständnis!

Ein Wechsel auf online-Lehre ist, in Abhängigkeit vom Verlauf der SARS-Cov-2-Pandemie möglich (zumindest für einzelne Termine) und kann auch kurzfristig erfolgen. Ich ersuche diesbezüglich um Ihr Verständnis!

  • Montag 07.03. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 14.03. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 21.03. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 28.03. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 04.04. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 25.04. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 02.05. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 09.05. 13:15 - 14:45 Digital
  • Montag 16.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal II NIG Erdgeschoß
  • Montag 23.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal II NIG Erdgeschoß
  • Montag 30.05. 13:15 - 14:45 Hörsaal II NIG Erdgeschoß
  • Montag 20.06. 13:15 - 14:45 Hörsaal II NIG Erdgeschoß
  • Freitag 24.06. 16:45 - 18:15 Hörsaal II NIG Erdgeschoß
  • Montag 27.06. 13:15 - 14:45 Hörsaal II NIG Erdgeschoß

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Ziele:
Erarbeitung eines differenzierten und kritisch-reflexiven Zugangs zum Themenkreis Gesellschaft, soziale und kulturelle Identitäten, Identität und Alterität, Inklusion und Exklusion; Einführung in zentrale kultur- und sozialphilosophische Themen.

Methode:
Vortrag; methodisch-systematische Erschließung der relevanten Fragestellungen anhand konkreter Texte mittels philologisch-kritischer, begriffskritischer und begriffsgeschichtlicher Verfahren.

Inhalte:
Soziale Identitätsbildungen hängen mit sprachlichem Ausdruck, kollektiven Erinnerungen und kulturellem Gedächtnis zusammen. Keinesfalls selten scheinen sie (auch) über Ein- und Ausgrenzungen zu erfolgen, wobei sich „Freund-Feind“-Dichotomien (Carl Schmitt) offenkundig immer wieder als erfolgreich erweisen. Sie korrelieren mit „asymmetrischer Gegenbegriffe“ (Reinhart Koselleck) und erlangen vor allem dann politische Wirksamkeit, wenn sie mit sehr „feindlichen Gefühlen“ (Aurel Kolnai), wie insbesondere Hass, aufgeladen sind.

Welche eigenen Persönlichkeitsanteile werden dabei jeweils abzuwehren gesucht? Was bedeutet „soziale Identität“? Lässt sich dieser Begriff im Singular überhaupt denken? Kommen Gesellschaften umgekehrt überhaupt ohne Feindbilder aus? Oder sind letztere (in ihrer kognitiven wie emotionalen Dimension) konstitutiv für so etwas wie Zusammengehörigkeitsgefühle innerhalb größerer Gruppen? Gibt es Personen bzw. Personengruppen, die sich, z. B. aufgrund tradierter feindseliger Bezugnahmen auf sie, als Feindbilder besser eignen als andere – oder kann die Auswahl gar beliebig erfolgen?
Vermögen liberale (oder sich doch so definierende) politische Gemeinwesen strukturell gegensteuern bzw. erachten sie dies überhaupt als opportun?

Es hat den Anschein, als eigneten sich soziale Netzwerke mit ihrem hohen Maß an potentieller Anonymität dazu, aversive Gefühle wie Hass und Wut in sich selbst überbietender Weise zu steigern. Der Messaging-Dienst Telegram etwa scheint inzwischen sogar explizite Mordaufraufe zu transportieren. Doch auch in anderen Internet-Plattformen (selbst in Kommentaren der online-Ausgaben klassischer Medien) findet sich eine teils sehr explizite Sprache. Sofern doch einmal etwas besonders Hässliches unter den Tisch fallen sollte, können ein von vielen Followern registrierter Retweet oder sonstige Formen der Weiterleitung helfen. Die Hassobjekte sind prinzipiell variabel, feindselige Bezugnahmen auf sie allerdings immer wieder geeignet, identitätsstiftende Wirkung innerhalb bestimmter Gruppen zu entfalten, wobei sich diese Gruppen möglicherweise überhaupt erst auf Basis geteilter Feindbilder als Wir-Gruppen konstituieren.

Dafür, dass sich Gefühle von Wut und Hass politisch instrumentalisieren lassen, sofern es gelingt, eine wie auch immer definierte Menge von Menschen potentiellen Angehörigen einer anderen (meist mengenmäßig größeren) sozialen Gruppe als feindlich zu präsentieren, lassen sich historisch zahlreiche Beispiele finden. Eines davon, das vielen vermutlich noch in gut Erinnerung ist, stammt aus dem Januar 2021. Kurz bevor sein Nachfolger angelobt werden sollte, gelang es dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump, eine durchaus beachtliche Menge von Anhängerinnen und Anhängern zu mobilisieren, nach Washington zu reisen und für ihn zu demonstrieren. In einer einstündigen Brandrede gegen jene, von denen er ohne jede Beweisgrundlage behauptete, sie hätten einen gewaltigen „Wahlbetrug“ an ihm vollzogen, vermochte es Trump in weiterer Folge, einen großen Teil dieser Demonstrantinnen und Demonstranten zur Erstürmung des Kapitols zu motivieren. Am Ende waren fünf Menschen tot, und die Institutionen der repräsentativen Demokratie schienen ernsthaft beschädigt, nicht nur in den Vereinigten Staaten.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Mündliche Prüfungen. (für einen positiven LV-Abschluss sind mindestens 50 von 100 Punkten zu erreichen). Weitere Details finden Sie auf Moodle.
Erlaubte Hilfsmittel: Reader.

Benotung:
1 (sehr gut): 100 - 90 Punkte
2 (gut): 89 - 81 Punkte
3 (befriedigend): 80 - 71 Punkte
4 (genügend): 70 - 51 Punkte
5 (nicht genügend): 50 oder weniger Punkte

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Eine eigenständige, reflektierte Beschäftigung mit den Themen der LV soll im Rahmen der Prüfungsarbeit erkennbar sein. Wichtiger als die Reproduktion von Wissensbeständen ist aus meiner Sicht erkennbare Beschäftigung mit Themen und Problemstellungen der VO. Deshalb werden bei der Prüfung offene Fragen gestellt, die in so beantwortet werden sollen, dass eine kohärente und konsistente Argumentation Ausdruck findet, desgleichen eine zumindest rudimentäre Beschäftigung mit themenrelevanter Literatur und Bezugnahme auf diese. 4 Fragen werden angeboten, 2 sind zu behandeln. Verwendung von themenrelevanter Literatur ist möglich. Im Übrigen wird jede Form von Mitarbeit positiv bewertet, auch dies fließt insofern in die Beurteilung ein.

Prüfungsstoff

Sämtliche Themen der Vorlesung.

Literatur

Agamben, Giorgio: Ausnahmezustand (Frankfurt am Main 2004).
Agamben, Giorgio: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben (Frankfurt am Main 2002).
Appiah, Kwame Anthony: Identitäten. Die Fiktionen der Zugehörigkeit. Aus dem Englischen v. Michael Bischof (München/Wien 2019).
Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus (20. Aufl. München 2017).
Assmann, Aleida: Identitäten (2. Aufl. Frankfurt am Main 1999).
Bauman, Zygmunt: Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Aus dem Englischen v. Michael Bischoff (Berlin 2016).
Butler, Judith: Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Übers. v. Kathrina Menke u. Markus Krist (2. Aufl. Frankfurt am Main 2008).
Des Forges, Alison: Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Aus dem Amerikanischen v. Jürgen Bauer (Hamburg 2002).
Donhauser, Gerhard: Angst und Schrecken. Beobachtungen auf dem Weg vom Ausnahmezustand zum Polizeistaat in Europa und den USA (Wien 2015).
Donhauser, Gerhard: Das Böse bleibt. Philosophische Bewältigungsversuche einer un-heimlichen Erbschaft (Wien 2021).
Dworkin, Ronald: Bürgerrechte ernstgenommen (Frankfurt am Main 1990).
Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Übers. v. Walter Seitter (Frankfurt am Main 1976).
Frank, Claudia/Weiß, Heinz (Hg.): Projektive Identifizierung. Ein Schlüsselkonzept der psychoanalytischen Therapie (Stuttgart 2007).
Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur (1930/31), in: Freud, Sigmund: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion (= Freud, Sigmund, Studienausgabe, Bd. IX, hg. v Alexander Mitscherlich, Angela Richards u. James Strachey; 6., korr. Aufl. Frankfurt am Main 1993) 191 – 270.
Freud, Sigmund: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921), in: Freud, Sigmund: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion (= Freud, Sigmund, Studienausgabe, Bd. IX, hg. v Alexander Mitscherlich, Angela Richards u. James Strachey; 6., korr. Aufl. Frankfurt am Main 1993) 61 – 134.
Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme (4. Aufl. Frankfurt am Main 1995).
Gethmann, Carl Friedrich / Graf, Friedrich Wilhelm (Hg.): Identität – Hass – Kultur (Göttingen 2019).
Gourevitch, Philip: Wir möchten Ihnen mitteilen, daß wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden. Berichte aus Ruanda. Aus dem Amerikanischen v. Meinhard Büning (Berlin 2008).
Hetzel, Andreas (Hg.): Alterität und Anerkennung (Baden-Baden 2011).
Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Übers. v. Holger Fliessbach (München 2002).
Kolnai, Aurel: Ekel, Hochmut, Haß. Zur Phänomenologie feindlicher Gefühle. Mit einem Nachwort von Axel Honneth (Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007) 7–65, 100–142.
Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (3. Aufl. Frankfurt am Main 1995).
Kristeva, Julia: Fremde sind wir uns selbst (5. Aufl. Frankfurt am Main 1995).
Lehmann, Sandra: Hass oder der Impetus der Vernichtung. In: Liebsch, Burkhard/Hetzel, Andreas/Sepp, Hans Rainer (Hg.): Profile negativistischer Sozialphilosophie. Ein Kompendium. Deutsche ZeiZeitschrift für Philosophie, Sonderband 32 (2011) 95.
Miller, Alice: Am Anfang war Erziehung (22. Aufl. Frankfurt am Main 2006).
Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen (3. Aufl. der Ausg. v. 1963, Berlin 1991)
Sen, Amartya: Die Identitätsfalle (München 2010).
Woodward, Bob: Wut. Aus dem Englischen v. Henriette Zeltner-Shane u. a. (München/Wien 2020).

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Do 11.05.2023 11:27