Universität Wien

180122 VO-L Gewalt als Leitproblem des philosophischen Diskurses der Gegenwart (2019W)

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie

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Details

Sprache: Deutsch

Prüfungstermine

Lehrende

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  • Dienstag 08.10. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 22.10. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 29.10. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 05.11. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 12.11. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 19.11. 09:45 - 12:55 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 26.11. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 03.12. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 17.12. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien
  • Dienstag 14.01. 09:45 - 13:00 Hörsaal 3D, NIG Universitätsstraße 7/Stg. III/3. Stock, 1010 Wien

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Diese Vorlesung mit erweitertem Lektüreprogramm setzt es sich zur Aufgabe, Gewalt als ein zentrales Problem des gegenwärtigen philosophischen Diskurses herauszuarbeiten. Ihr Ziel besteht darin, zentrale philosophische und insbesondere auch ethische Fragestellungen, die i.R. aktueller Auseinandersetzungen mit dem Gewaltproblem auftreten, in deren Rahmen jedoch vielfach unaufgelöst verbleiben, systematisch ans Licht zu bringen und kritisch zu reflektieren.
Im Zentrum der VO stehen zwei Fragen: Erstens die Frage danach, wie Gewalt, die die Ökonomie des Sinnes und Verstehens offenbar unterbricht und möglicherweise zerstört, überhaupt thematisiert werden kann: Lässt sich Gewalt sinnhaft auslegen und explizieren, oder bleibt sie – wie Phänomene exzessiver und sog. sinnloser Gewalt suggerieren – stets ein Fremdkörper in rationalen bzw. normativen Ordnungen diskursiven Verstehens?
Dass Gewalt in menschlichen Sinnordnungen als — mindestens potenzielle — Drohung der Unordnung bzw. legitime „Gegengewalt“ gleichwohl (immer schon) impliziert ist, dass sie also ein Phänomen „einschließender Ausschließung“ darstellt, das für das Funktionieren sozialer und politischer Ordnungen auch in der Spätmoderne konstitutiv ist, weist in eine andere Fragerichtung: die der Rationalisierung, Funktionalisierung und Normalisierung von Gewalt im Zeichen der Genese und Erhaltung von sozialen, gesellschaftlichen und v.a. auch globalen Institutionen resp. Diskursen. Die LV setzt es sich zum Ziel, das damit angezeigte Zusammenspiel von „Nicht-Sinn“ und „Sinn“ der Gewalt sowohl theoretisch-systematisch als auch praktisch im Rahmen einer Analyse verschiedener Gewaltformen herauszuarbeiten.
Dieses Problem zeigt sich in paradigmatischer Weise im Kampf der Moderne um die Definitionshoheit über Gewalt, d.h. in Bezug auf die Frage danach, was (nicht) als Gewalt gilt bzw. wahrgenommen wird. In diesem Zusammenhang werden verschiedenste Diskurse der Gewaltrechtfertigung kritisch aufgearbeitet, die allzu schnell die blinden Flecke jener Ordnungen selbst verschließen, d.h. ihre ordnungssetzende und ordnungserhaltende Gewalt, die sich selbst als Gewalt – so etwa in rechtlichen, religiösen oder kulturellen Ordnungen – aufzuheben vorgibt.
Exemplarisch greifbar werden diese Zusammenhänge an aktuellen Diskussionen um "religiöse Gewalt" und ihre Legitimationsstrukturen. Die übergreifende Frage, der sich die LV diesbezüglich stellen möchte, betrifft die an dieser Problematik sich abzeichnende Relation von Gewalt und Vernunft: Dass "die Vernunft" an "der Gewalt", als dem vermeintlich "Anderen der Vernunft" (vom "Barbaren" über den "Kannibalen" bis hin zum "religiösen Fanatiker" und zur "Terroristin" (!) heute), vielfach parasitiert, sie als ihr "ursprüngliches Supplement" (re)produziert, ist eine verstörende These, der im Rahmen der LV Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.
Vor diesem Hintergrund wird gezeigt, wie neuere Ansätze in der Sozial- und politischen Philosophie, der Phänomenologie und der post-strukturalistischen Theoriebildung zentrale Aporien des modernen Gewaltdiskurses (physisch vs. psychisch; instrumentell vs. sinnlos; natürlich-barbarische Her- bzw. Wiederkunft vs. kulturell-rationale Einhegung von Gewalt; kollektivistisch-holistische vs. individualisierende Erklärung von Gewalt; Naturalisierung vs. Kulturalisierung von Gewaltverhältnissen; Historisierung vs. Essentialisierung der Gewalt; Normalisierung vs. Singularisierung von Gewaltereignissen; der Zirkel von Gewalt (der anderen) und legitimer „Gegengewalt“) kritisch ins Auge zu fassen und zu dekonstruieren erlauben.

Didaktischer Hinweis:
Die LV ist als VO mit erweitertem Lektüreprogramm konzipiert. Die Studierenden werden angehalten, sich in einen Schwerpunkt umfassend einzulesen. Es soll zudem in jeder Einheit ausreichend Raum für die Diskussion eingeräumt werden. Dies erscheint mir bei einem grundsätzlich umstrittenen Thema notwendig zu sein.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Da die LV als VO mit erweitertem Lektüreprogramm konzipiert ist, sollen die Studierenden sich in einen behandelten Schwerpunkt selbständig weiterführend einlesen. In der schriftlichen Prüfung wird dann dezidiert diese zusätzliche Leseleistung befragt.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Beherrschung des Stoffes und nachvollziehbare Darlegung des eigenständig erarbeiteten Vertiefungsschwerpunktes.

Prüfungsstoff

Als Prüfungsstoff gilt der in der VO behandelte Stoff plus die Literatur, erweitert mit der eigenen Schwerpunktsetzung.

Literatur

G. AGAMBEN, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt/M. 2002
A.APPADURAI, Fear of small numbers: An essay in the geography of anger. Durham 2004
H. ARENDT, Macht und Gewalt, München 2000
A. Blok, „The Enigma of Senseless Violence“, in: G. Aijmer, J. Abbink (Hg.): Meanings of Violence. A Cross Cultural Perspective. Oxford & New York 2000, 23-38
E. BALIBAR, "Violence and civility: On the limits of political anthropology." Differences. A Journal of Feminist Cultural Studies 20/2-3 (2009), 9-35
Z. BAUMANN, “Gewalt – modern und postmodern”, in: M. Miller, H.-G. Soeffner (Hg.), Modernität und Barbarei, Frankfurt/M. 1996, 36-67
J. BUTLER, Krieg und Affekt, Zürich/Berlin 2009
A. CAVARERO, Horrorism. Naming Contemporary Violence, New York 2009
M. CREPON, Murderous Consent: On the Accommodation of Violent Death. New York 2019
V. DAS, A. KLEINMAN, M. RAMPHELE (eds.), Violence and Subjectivity, Berkeley et al. 2000
J. DERRIDA, Schurken. Zwei Essays über die Vernunft, Frankfurt/M. 2003
H. DE VRIES, Religion and Violence: Philosophical Perspectives from Kant to Derrida, New York 2002
M. FOUCAULT, „Das Subjekt und die Macht“, Nachwort in: H. Dreyfus, P. Rabinow (Hg.), Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frankfurt/M. 1987, 243-250
J. GALTUNG, Strukturelle Gewalt, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1975
A. HIRSCH, Recht auf Gewalt? Spuren philosophischer Gewaltrechtfertigung nach Hobbes, München 2004
H. G. KIPPENBERG, Gewalt als Gottesdienst. Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung, München: Beck 2008
A. KLEINMAN, „The Violences of Everyday Life. The Multiple Forms and Dynamics of Social Violence,” in: V. Das et al. (Hg.), Violence and Subjectivity, Berkeley et al. 2000, 226-241
T. KOLOMA BECK, Th. SCHLICHTE, Theorien der Gewalt zur Einführung, München 2014.
B. LIEBSCH, Verletztes Leben: Studien zur Affirmation von Schmerz und Gewalt im gegenwärtigen Denken, Berlin 2014
—, Unaufhebbare Gewalt: Umrisse einer Anti-Geschichte des Politischen, Weilerswist 2015
M. LORENZ, „Physische Gewalt – ewig gleich? Historische Körperkontexte contra absolute Theorien“, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 4. JG/2 (2004), 9-24
A. V. MURPHY, Violence and the Philosophical Imaginary, New York 2012
K. OLIVER, Women as Weapons of War. Iraq, Sex, and the Media. New York 2007
J.-P. REEMTSMA, Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne, Hamburg 2008
M. SCHNEIDER, Der Barbar. Endzeitstimmung und Kulturrecycling, München/Wien 1997
M. STAUDIGL (Hg.), Gesichter der Gewalt, Paderborn 2014
C. TAYLOR, „Gewalt und Moderne“, in: Transit 23, 2000, 53-72
B. WALDENFELS, „Grenzen der Legitimierung die Frage nach der Gewalt“, in Der Stachel des Fremden, Frankfurt/M. 1990, 103-119
N. WHITEHEAD, "Violence and cultural order." Daedalus, Winter 2007: 40-50
—, "Divine Hunger, The Cannibal War Machine." (available at the internet: https://www.academia.edu/701130/Divine_Hunger_-_The_Cannibal_War_Machine. Zugriff 15.01.2019) (Spanish print version: Hambre divina: la máquina de guerra caníbal. Mundo Amazónico 4(2013):7-30.
M. WIEVIORKA, Die Gewalt, Hamburg 2007
M. WIMMER, C. WULF, B. DIECKMANN (Hg.), „Einleitung: Grundlose Gewalt – Anmerkungen zum gegenwärtigen Diskurs über Gewalt“, in: dies. (Hg.), Das zivilisierte Tier. Zur historischen Anthropologie der Gewalt, Frankfurt/M. 1996
S. ŽIŽEK, Gewalt. Sechs abseitige Reflexionen. Berlin 2011

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Fr 12.05.2023 00:18