Universität Wien

180158 SE Philosophie und Phänomenologie des Rassismus (2015S)

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 18 - Philosophie
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

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Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 45 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

Donnerstag 19.03. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 26.03. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 16.04. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 23.04. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 30.04. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 07.05. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 21.05. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Freitag 22.05. 11:30 - 14:00 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
Donnerstag 28.05. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 11.06. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Donnerstag 18.06. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien
Freitag 19.06. 11:30 - 14:00 Hörsaal 3B NIG 3.Stock
Donnerstag 25.06. 15:00 - 16:30 Hörsaal 2G, NIG Universitätsstraße 7/Stg. II/2.Stock, 1010 Wien

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Das Seminar stellt sich der Aufgabe einer phänomenologischen Deskription und philosophischen Reflexion von Rassismus als einer exemplarischen Form sozialer Gewalt. Dabei wird von der Tatsache ausgegangen, dass Rassismus und insbesondere spezifische Rassismen bislang nur selten dezidiertes Thema philosophischer Reflexion waren. Inhaltlich auszugehen bleibt daher vorwiegend von vorliegenden einzel-, insbesondere sozial- und humanwissenschaftlichen Analysen rassistischer Gesellschaftsformationen und Gewaltverhältnisse. Als Textmaterial werden entsprechend v.a. sozialtheoretische, historische und kulturwissenschaftliche Analysen sowie literarische Zeugnisse herangezogen. Zentrale philosophische Probleme, die in diesen Zusammenhängen auftreten, dort jedoch zumeist ungestellt verbleiben, sollen im Rahmen des Seminars kritisch reflektiert werden.
Das Seminar möchte der Frage nachgehen, wie Rassismus als eine spezifische Form sozialer Gewalt philosophisch adäquat thematisiert werden kann. Ein phänomenologischer Zugang bietet sich an, da er es erlaubt, die für Gewaltphänomene schlechthin konstitutive Verflechtung von leibhaftiger Erfahrung und diskursiver/symbolischer Sinnzuschreibung zu fokussieren. Versteht man unter Rassismus, soweit reicht ein Minimalkonsens der Rassismusforschung, die naturbedingte Rechtfertigung gesellschaftlich produzierter Unterschiede, so verdeutlicht dies die Bedeutung eines solchen Ansatzes: Indem phänomenologische Analyse es erlaubt, das kognitive Leben des Subjekts im Horizont gelebter zwischenleiblicher Semantiken (Körperbilder -und praxen) zu fokussieren, ermöglicht sie es in eins, die performative Macht jener rassistischen Methoden ins Auge zufassen, die mit den Kategorien von strukturfunktionaler Gesellschaftsanalyse, Diskursanalyse und klassischen Handlungstheorien nicht angemessen zu erfassen sind.
Der entscheidende Beitrag einer phänomenologischen Rassismusanalyse besteht folglich darin, diese Methoden als Formen leibhaftiger Sinnproduktion und zwischenleiblicher Handlungsmotivierung herauszuarbeiten. Zu unterscheiden bleibt 1. die Erfahrung der Inferiorisierung durch die Zuschreibung kultureller Differenz. Solche Zuschreibungspraxen arbeiten mit einer Logik gegensätzlichen Ausschlusses, die sich in Gegensatzpaaren wie Kultur/Barbarei, Zivilisiertheit/Wildheit, Reinheit/Unreinheit, Weißheit/Farbigkeit oder Höherwertigkeit/ Minderwertigkeit ausdrückt. Dieser Prozess inferiorisierender Differenzsetzung realisiert eine heteronormative Form von Vergesellschaftung, die in letzter Instanz nicht auf wie auch immer diskriminierende Zurechnung, sondern prinzipiell auf Absonderung und Ausschluss abstellt, d.h. desozialisiert. Mit solcher Desozialisierung verbindet sich 2. eine Erfahrung der Selbstentfremdung und Bewusstseinsspaltung. Diese resultiert aus der vielfach prä-reflexiven Übernahme rassistischer Normen, deren Erfüllung per definitionem unmöglich ist. Die entsprechenden Praxen der Desozialisierung sind ihrerseits historisch variabel und reichen von der Infragestellung kultureller Eigenheit (Assimilation) bis zur grundsätzlichen Verweigerung sozialer Besonderung (Segregation). Ermöglicht bzw. vermittelt werden Inferiorisierung und Desozialisierung ihrerseits durch stigmatisierende Formen der Verkörperung, die als eine dritte zentrale Methode des Rassismus herauszuarbeiten sind.
Die LV wird vor diesem Hintergrund auf das Analysepotential der Phänomenologie zurückgreifen, es anwenden und kritisch modifizieren, um das Phänomen Rassismus in seiner spezifischen Differenz gegenüber anderen Formen sozialen Ausschlusses (wie Diskriminierung oder Exklusion) zu beschreiben. Solche phänomenologische Beschreibung bietet zudem den Vorteil, die Formalismen ethischer Begründung und Rechtfertigung, auf die sich praktische Philosophie und Ethik angesichts von Gewalterfahrungen weitgehend beziehen, durch den Rekurs auf die gelebte Erfahrung zu kontextualisieren, zu vertiefen und kritisch zu überprüfen.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

1. Regelmäßige Anwesenheit und aktive Mitarbeit;
2. Lektüre der Basistexte und Exzerpte;
3. Mündliches Referat und/oder schriftliche Seminararbeit zu einem gewählten Basistext.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

1. die zentralen Methoden des Rassismus unter Anwendung phänomenologischer Analysemethoden herauszuarbeiten;
2. Rassismen und rassistische Gewaltverhältnisse konkret zu beschreiben und zu analysieren;
3. die erkenntnistheoretischen und ethischen Probleme der Rassismusreflexion zu reflektieren;
4. die Verflechtung von (rassistischer) Gewalt, Gemeinschaft und Politik zu beleuchten;
5. das interdisziplinäre Potential phänomenologischer Analyse konkret zur Anwendung zu bringen.

Prüfungsstoff

1. Einführung in die LV und in die Thematik durch den Vortragenden: Schwerpunkte sind eine Überblicksdarstellung klassischer und aktueller Rassismustheorien sowie die Darlegung der Relevanz (im weitesten Sinne) phänomenologischer Methoden für die Rassismusforschung;
2. Verpflichtende Exzerpte zu drei Basistexten;
3. Gemeinsame Lektüre und Diskussion zentraler Passagen der Basistexte;
4. Referate der TeilnehmerInnen zu ausgewählten Themen bzw. Texten;
5. Arbeit in Kleingruppen zu ausgewählten Fragestellungen, Präsentation und Diskussion im Plenum;
6. Abschlussdiskussion und geneinsame Evaluation des Seminars;
7. Diskussion der schriftlichen Seminararbeiten in Einzelgesprächen.

Die Basistexte und die Referatsexte werden zu Semesterbeginn auf meiner Homepage passwortgeschützt zugänglich gemacht: http://homepage.univie.ac.at/michael.staudigl/ss12/

Literatur

a.) Basistexte

S. Ahmed, A Phenomenology of Whiteness. Feminist Theory 8(2), 2007, 149-168
F. Fanon, Die gelebte Erfahrung des Schwarzen. In ders., Schwarze Haut, weiße Masken, Frankfurt/M.
W. D. HUND, Rassismus im Kontext. Geschlecht, Klasse, Nation, Kultur und Rasse. In I. Woyak und S. Meinl (Hg): Grenzenlose Vorurteile. Antisemitismus, Nationalismus und ethnische Konflikte in verschiedenen Kulturen , Frankfurt a.M./New York, 17-40 [ Online: http://www.wiso.uni-hamburg.de/fileadmin/wiso_dwp_soz/Hund/Rasse.pdf ]

b.) Literatur für Referate

L. Abu-Lughod, Do Muslim Women Really need saving? Anthropological Reflections on Cultural Relativism and Its Others. American Anthropologist 104(3)2002, 783-90
S. AHMED, Collective Feelings. Or, the Impressions Left By Others. Theory, Culture and Society 21(2), 25-42
L. M. Alcoff, Visible Identities. Race, Gender, and the Self, Oxford 2006 (Kap. 7: The Phenomenology of Racial Embodiment, 179-194)
E. Balibar, Is there a Neo-Racism?. In ders., Race, Nation, Class: Ambiguous Identities, London 1991.
R. BERNASCONI, The invisibility of racial minorities in the public realm of appearances. In K. Thompson und L. Embree (Hg.), Phenomenology of the Political, Dordrecht/Boston/London 2000, 169-187
U. BIELEFELD, Das Konzept des Fremden und die Wirklichkeit des Imaginären. In ders. (Hg.), Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der alten Welt?, Hannover 1991, 97-128
M. FOUCAULT, In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt/M. (Vorlesung v. 17. März 1976, 282-311)
D. LAPEYRONNIE, Die Ordnung des Formlosen. Die soziale und politische Konstruktion von Rassismus in der französischen Gesellschaft. Mittelweg 36, 3 (2001), 79-92
J.-P. Sartre, Betrachtungen zur Judenfrage. In ders., Drei Essays, Zürich 1960, 108-190
F. A. Sheth, Toward a Political Philosophy of Race, Albany 2009 (Kap. 1: The Technology of Race and the Logic of Exclusion, 21-39)
M. Stokes, Becoming Visible: I am White, Therefore I am Anxious. In ders., The Color of Sex. Whiteness, Heterosexuality, and the Fiction of White Supremacy, Durham 2001

c) Auswahl weiterführender Literatur

L. M. Alcoff, Habits of Hostility: On seeing Race. Philosophy Today 44 (Supplement 2000), 30-40
A. AL-SAJI, The racialization of Muslim veils: A philosophical analysis. Philosophy & Social Criticism 2010 (36), 875-902
M. Banton, Racial Theories. Second Edition, Cambridge 1998
R. Bernasconi, Sartre’s Gaze Returned. The Transformation of the Phenomenology of Racism. Graduate Faculty Philosophy Journal 18/2 (1995), 359-379
― (Hg.), Race, Oxford 2001
A. David, Racisme et antisémitisme. Essai de philosophie sur l’envers de concepts, Paris 2001
A. Demirovíc und M. Bojad¸ijev (Hg.), Konjunkturen des Rassismus, Münster 2002.
D. T. Goldberg, Racist Culture: Philosophy and the Politics of Meaning, Oxford 1993
D. T. Goldberg, The Threat of Race. Reflections on Racial Neoliberalism, Malden et al. 2010
W. D. Hund, Negative Vergesellschaftung. Dimensionen der Rassismusanalyse, Münster 2006
W. D. Hund, Rassismus, Bielefeld 2007
T. Modood, Difference. Cultural Racism and Anti-Racism. In B. Boxill (Hg.), Race and Racism, Oxford 2001, 238-256
N. Räthzel (Hg.), Theorien über Rassismus, Hamburg 2000
A. Weiss, Rassismus wider Willen. Ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit, Wiesbaden 2001
M. WIEVIORKA, The Arena of Racism, London et al. 1995


Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

BA M 6.3, PP 57.3.6

Letzte Änderung: Mo 07.09.2020 15:36