Universität Wien

190081 KU BM 7 Angewandte Methodologie I (AHP) (2020W)

Bildung und Widerspruch - Zur Kritischen Theorie als bildungswissenschaftlicher Forschungsmethode

5.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 19 - Bildungswissenschaft
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

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Details

max. 25 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

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Der Kurs findet zu den unten angeführten Terminen ausschließlich in Form von VIRTUELLER PRÄSENZ (Moodle und Videokonferenz) statt. Bitte beachten Sie das diesbezügliche Mail an Ihre Unet-Adresse.

  • Donnerstag 08.10. 16:45 - 20:00 Digital
  • Donnerstag 22.10. 16:45 - 20:00 Digital
  • Donnerstag 05.11. 16:45 - 20:00 Digital
  • Donnerstag 19.11. 16:45 - 20:00 Digital
  • Donnerstag 03.12. 16:45 - 20:00 Digital
  • Donnerstag 17.12. 16:45 - 20:00 Digital
  • Donnerstag 14.01. 16:45 - 20:00 Digital
  • Donnerstag 28.01. 16:45 - 20:00 Digital

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Adorno spricht sich für eine Erziehung zur Mündigkeit aus, die sich als „Erziehung zum Widerspruch und zum Widerstand“ (Adorno 1971 [1969], 145) realisieren solle, indem sie sich als eine „Erziehung des ‚Madigmachens‘“ (ebd. 146) vollzieht. Eine solche Erziehung würde Kindern und Jugendlichen nicht nur vor Augen führen, wie Bildung innerhalb der überkommenen gesellschaftlichen Ordnung der Kulturindustrie zur unmündig – weil beherrschbar – machenden Halbbildung (vgl. Adorno 1998 [1959], 93-121) verhärtet, sondern ihnen darüber hinaus zugleich einen gebotenen Ekel vermitteln. Das Ziel? Nichts Geringeres als die Kultivierung eines neuen, materialistisch motivierten, kategorischen Imperativs: „ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe“ (Adorno 2003 [1966], 358).

Zugleich steht für Adorno jedoch außer Frage, dass sich dieser zutiefst praktische Zweck nicht unter Verzicht auf Kontemplation wird bewerkstelligen lassen können. Gegen Marx Konklusion in seinen „Thesen über Feuerbach“ (Marx 1978 [1845], 5-7) hält Adorno an der Bedeutung kritischer Reflexion – in Gestalt einer strengen Auseinandersetzung mit Begriffen, die sich als Theorien oder theoretische Entitäten handlichen Definitionen verweigern (vgl. Adorno 1990 [1962], 7-19) – fest. Denn Begriffe, wie bereits Adornos väterlicher Freund Max Horkheimer in einer Einführungsrede für Erstsemester festhält, sind keine „Spielmarken“ (Horkheimer 1972 [1952], 164), sondern, in einer Formulierung Ludwig Pongratz – Vertreter einer Kritischen Erwachsenenbildung –, „theoretische Sprengsätze“ (Pongratz 2010, 13). Als solche dienen sie uns dazu die gesellschaftlichen Verhältnisse schonungslos offen zu legen, hinter die Fassaden dessen zu blicken, was als vermeintlich Faktisches – die unverstandene Oberflächenerscheinung – zum objektiv notwendigen und zugleich falschen Bewusstsein, der Ideologie (vgl. Adorno 1997 [1954], 465), gravitieren lässt. Um dies zu verhindern und das sich hinter der gesellschaftlichen Fassade verbergende Unwesen der Gesellschaft offen zu legen, gelte es dasselbe „an seinem Widerspruch zum ‚Erscheinenden‘, schließlich zum realen Leben der einzelnen Menschen“ (Adorno 1989a [1969], 18f.) zu kritisieren. Kritische Theorie, im Sinne dialektischer immanenter Kritik, habe daher „die Begriffe (…) um[zu]setzen in jene, welche die Sache von sich selber hat, in das, was die Sache von sich aus sein möchte, und es [zu] konfrontieren mit dem, was ist“ (Adorno 1989b [1957], 82). Die dadurch aufgedeckten Widersprüche erweisen sich jedoch nicht einfach als logische Denkfehler, sondern vielmehr konstitutiver Bestandteil von Begriffen und demnach Motor einer jeden gesellschaftskritischen Analyse: „Wir können der in einem Begriff aufgespeicherten Problemgeschichte nur dadurch gerecht werden, dass wir sie aufnehmen und entfalten.“ (Pongratz 2010, 21). Und dies nicht zuletzt – in einer postmodernen Wendung, unter den Vorzeichen einer epistemologischen Analyse –, um „Phänomene in ihrer gesamten Konfiguration begrifflich fassen zu können“, also noch das „was verdrängt, ausgeschlossen worden ist, sowie, was möglich sein könnte“ (Casale 2011, 50) zum Thema zu machen.

Der Kurs führt auf diese Weise in die Kritische Theorie sowie ihre Rezeption und kritische Konfrontation mit postmodernen und poststrukturalen Überlegungen innerhalb der Pädagogik, als einer Methode zur kritischen Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse und Prozesse, ein. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die sich hieraus ergebenden Implikationen für Bildung und ihre methodische Erforschung oder Konstitution (vgl. Dammer et al. 2015) sowie den Grenzen dieses methodischen Zugriffs (vgl. Ruhloff 1983; Casale 2020).

Methoden:
Der Kurs versteht sich als Ort der intensiven Diskussion ausgewählter Texte. Zu diesem Zweck werden in Plenumsdiskussionen gemeinsam zentrale Fragen zu den selbständig vorbereiteten Texten erörtert.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Modus 1:
Zur positiven Absolvierung des Kurses stehen zwei verschiedene Modi zur Verfügung.
a) Kontinuierliche Anwesenheit, vorbereitende Lektüre und Diskussionsbeteiligung im Plenum (30%)
b) Lektürereflexionen zu den Texten der Pflichtlektüre (15%)
c) Essay zu einem selbständigen Forschungsthema (55%)

Modus 2:
a) Kontinuierliche Anwesenheit, vorbereitende Lektüre und Diskussionsbeteiligung im Plenum (30%)
b) Lektürereflexionen zu den Texten der Pflichtlektüre (15%)
c) Rezensionen zu drei verschiedenen Texten der Pflichtlektüre unter Berücksichtigung der Plenardiskussionen und etwaiger zur Verfügung gestellter Zusatzinhalte (55%)

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Die Mindestanforderungen an einen positiven Abschluss des Kurses bestehen in:
- kontinuierlicher und aktiver Anwesenheit (angesichts des vierzehntäglichen Rhythmus ist maximal eine unentschuldigte Fehleinheit möglich),
- vorbereitender Lektüre der Pflichttexte, sowie der aktiven Beteiligung an der Diskus-sion der Inhalte während den Kurseinheiten,
- Verfassung und Erbringung unterschiedlicher Teilleistungen (siehe 'Art der Leis-tungskontrolle') während des Semesters, im Ausmaß von mindestens 55%.

Prüfungsstoff

Literatur

Adorno, Theodor W. (1971) [1969]: 'Erziehung zur Mündigkeit', in: Ders.: Erziehung zur
Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969. Hrsgg. v. Gerd Kadelbach. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 133-147.
Adorno, Theodor W. (131989a) [1969]: 'Einleitung', in: Adorno, Theodor W./ Albert, Hans/ Dahrendorf, Ralf/ Habermas, Jürgen/ Pilot, Harald/ Popper, Karl R. (Hrsg.): Der Posi- tivismusstreit in der deutschen Soziologie. Darmstadt: Luchterhand, S. 7-79.
Adorno, Theodor W. (131989b) [1957]: 'Soziologie und empirische Forschung', in: Adorno,
Theodor W./ Albert, Hans/ Dahrendorf, Ralf/ Habermas, Jürgen/ Pilot, Harald/ Popper, Karl R. (Hrsg.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie. Darmstadt: Luchterhand, S. 81-101.
Adorno, Theodor W. (1990) [1962]: Philosophische Terminologie. Zur Einleitung. Band 1.
Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Adorno, Theodor W. (1998) [1959]: 'Theorie der Halbbildung', in: Ders.: Soziologische Schriften I. Gesammelte Schriften Bd. 8. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 93-121.
Adorno, Theodor W. (2003) [1966]: 'Negative Dialektik', in: Ders.: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp (= Band 6 der Gesammelten Schriften, hrsgg. v. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss u. Klaus Schultz), S. 7-412.
Casale, Rita (2011): 'Zur Abstraktheit der Empirie. Zur Konkretheit der Theorie', in: Brein- bauer, Ines Maria/ Weiß, Gabriele (Hrsg.): Orte des Empirischen in der Bildungstheorie. Einsätze theoretischer Erziehungswissenschaft II. Würzburg: Königshausen und Neumann, S. 45-60.
Casale, Rita (2020): 'Bildung nach der Krise der bürgerlichen Philosophie', in: Stederoth, Dirk/ Novkovic, Dominik/ Thole, Werner (Hrsg.): Die Befähigung des Menschen zum Menschen. Heinz-Joachim Heydorns kritische Bildungstheorie. Springer VS: Wiesbaden, S. 9-23.
Dammer, Karl-Heinz/ Vogel, Thomas/ Wehr Helmut (Hrsg.) (2015): Zur Aktualität der Kriti- schen Theorie für die Pädagogik. Wiesbaden: Springer.
Horkheimer, Max (1972) [1952]: 'Begriff der Bildung', in: Ders.: Sozialphilosophische Stu- dien. Aufsätze, Reden und Vorträge 1930-1972. Mit einem Anhang über Universität und Studium. Herausgegeben von Werner Brede. Frankfurt am Main: Athenäum Fi- scher, S. 163-172.
Marx, Karl (1978) [1845]: 'Thesen über Feuerbach', in: Marx, Karl/ Engels. Friedrich: Werke Band 3. Berlin: Dietz Verlag, S. 5-7.
Pongratz, Ludwig A. (2010): Sackgassen der Bildung. Pädagogik anders denken. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
Ruhloff, Jürg (1983): 'Ist Pädagogik heute ohne ‚Kritische Theorie‘ möglich? Zur Systematik der negativen Rezeptionsgeschichte', in: Zeitschrift für Pädagogik. 30. Jg. Heft, S. 219-233.
Schäfer, Alfred (2004): Theodor W. Adorno. Ein pädagogisches Porträt. Weinheim/ Basel/
Berlin: Beltz Verlag.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

BM 7 KU I (AHP)

Letzte Änderung: Fr 12.05.2023 00:18