Universität Wien

200146 SE Anwendungsseminar: Geist und Gehirn (2024W)

Kulturpsychologische und kritisch-reflexive Zugänge zu Fragen der ökologischen Transformation

4.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 20 - Psychologie
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

Dieses Anwendungsseminar kann für alle Schwerpunkte absolviert werden!

Anwendungsseminare können nur fürs Pflichtmodul B verwendet werden! Eine Verwendung fürs Modul A4 Freie Fächer ist nicht möglich.

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 20 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

Zusätzlich zu den genannten Terminen findet am Freitag, 11.10. von 9:45-13:00 eine längere Auftakteinheit im HS E (Liebiggasse) statt.
Die Einheit am 13.11. entfällt dafür.

  • Mittwoch 09.10. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 16.10. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 23.10. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 30.10. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 06.11. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 13.11. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 20.11. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 04.12. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 11.12. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 08.01. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 15.01. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 22.01. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618
  • Mittwoch 29.01. 13:15 - 14:45 Hörsaal C Psychologie, NIG 6.Stock A0618

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Die akuten planetaren Krisen (Globale Erwärmung, Artensterben, Dürre, Verlust frucht-barer Böden und Versauerung der Meere) betreffen uns alle. Dennoch geht das ‚normale‘ Leben Tag für Tag weiter. In Österreich wie auch anderen Ländern des globalen Nordens basiert dieser Alltag auf systemisch und strukturell „nachhaltiger Nicht-Nachhaltigkeit“ (Blühdorn, 2020) in praktisch allen Lebensbereichen (Arbeit, Mobilität, Ernährung, Wohnen, Freizeit, Reisen). Diese „imperialen Lebensweise“ (Brand & Wissen, 2017) macht uns unweigerlich zu Mitverursacher*innen ebenjener existenzieller Krisen.

Auf psychischer Seite setzt die alltägliche Lebensbewältigung massive Ausblendungs- und Abstumpfungsleistungen voraus. Slaby (2023) spricht von „affektiver Entwirklichung“. Parallel dazu versprechen grüner Konsum, CO-2 Tracking usw. Einzelnen ein besseres Gewissen, erweisen sich aber schnell als individuozentrische Schein-Lösungen, die keinen wirklichen Ausweg aus dem oben skizzierten Dilemma bieten. Und obwohl nachhaltigere und resilientere Modi der sozialen Organisation bekannt sind (z.B. Degrowth, Kreislaufwirtschaft, Commons-Ökonomie), bleiben die allermeisten Menschen in einer scheinbar selbstverständlichen Lebenspraxis verhaftet, die von internalisierten Wachstumsimperativen bzw. Abstiegsängsten geprägt ist. Unser Handeln, aber auch unser psychologisches Wissen scheinen einer fundamentalen ökologischen Transformation bis dato nachzuhinken.

Zugleich regt sich seit einigen Jahren eine globale Debatte um alternative Ansätze, das menschliche Selbstverständnis und unsere Lage in der Welt zu konzeptualisieren. Dazu zählen etwa feministische und dekoloniale Theorien (Akomolafe, 2017; Stein et al., 2022), Ecopsychology (Plesa, 2019) und kritische Umweltpsychologie (Kühn & Bobeth, 2022). Als Aufschlag zu einem längerfristigen Vorhaben wollen wir in diesem Semester diese theoretischen Angebote zu anderen Mensch-Natur-Verhältnissen sondieren und mit kulturpsychologischem Wissen in Dialog bringen. Dabei wollen wir Reflexionsbegriffe gewinnen, in denen sich auch eine veränderte öko-soziale Praxis abstützen kann. Im Zentrum steht dabei „Affektivität“, die konstituierend für und konstituiert durch gesellschaftliche Selbst- und Wirklichkeitsbestimmung gedacht wird, sowie damit ver-bundene Möglichkeiten von Plastizität, Kritik und Transformation (Bösel, 2023; von Maur, 2023).

Da es so zentral um Affektives geht, dürfen die eigenen affektiven Reaktionen nicht zu kurz kommen, etwa auf mediale Berichterstattung, gelesene Literatur, Museumsbesuche, Dokumentationen und Filmausschnitte. Wir regen an, während des gesamten Semesters ein persönliches Forschungstagebuch zu führen, um Eindrücke und Entwicklungsprozesse zu verarbeiten. Wir werden Selbsterfahrungen und Feldbeobachtungen im Zuge von Exkursionen organisieren, z.B. in den Wald (Degen et al., 2020). Darüber hinaus bietet es sich an, im Lauf des Semesters eigene Formen ökologischer Projektarbeit (z.B. Kompostieren, Urban/Guerilla Gardening, Clean-Ups, politische/künstlerische Interventionen) oder Selbsterfahrung zu kultivieren und deren Resultate in Form von autoethnographischen Berichten (Adams et al., 2020) in das Seminar einfließen zu lassen. Didaktisch legen wir Werte auf paradigmatische Pluralität, lebensweltliche Erfahrungsnähe und ethisch-reflexive Standortverbundenheit (Slunecko, 2017).

Das Seminar soll zudem der Vernetzung mit ähnlichen Initiativen zu einer kritischen Umweltpsychologie dienen. Im Lauf des Semesters werden weitere Kolleg*innen und Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen zu Gast sein und von laufenden Forschungsprojekten bzw. Praxiserfahrungen berichten.

Das Seminar ist für alle Master-Schwerpunkte offen.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

- Regelmäßige Anwesenheit
- Aktive Beteiligung an den Diskussionen im Seminar, auch in Form von (mündlichem) Peer-Feedback an die Kolleg*innen
- Textlektüre und Textarbeit zwischen den Einheiten
- Führen eines Forschungstagebuchs
- Schriftliche Abschlussarbeit in Form von entweder
a) einer Theorie-Arbeit
b) einem (auto-)ethnographischen Portfolio (ausgewählte Forschungstagebuch-Einträge, ggf. angereichert mit Fotographien oder Zeichnungen)

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Das Seminarkonzept setzt die Bereitschaft zu genauer Textarbeit zwischen den LV-Einheiten voraus. Das bedeutet, dass die zur Verfügung gestellten Texte jeweils vor der Einheit gelesen werden müssen, um eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu haben. Darüber hinaus ist die Bereitschaft wichtig, ein persönliches Forschungstagebuch zu führen, sich an Exkursionen (ggf. in Kleingruppen) zu beteiligen und sich auf den interaktiven Charakter der LV als einer (auto-)ethnographischen Forschungswerkstatt einzulassen.

Beurteilung
50% Mitarbeit, d.h. aktive Beteiligung an den Diskussionen im Seminar (inkl. Vorbereitung der verpflichtenden Lektüre), Peer-Feedback an die Kolleg:innen
50% inhaltliche und formale Qualität der Abschlussarbeit

Prüfungsstoff

Immanenter Prüfungscharakter

schriftliche Abschlussarbeit

Literatur

Adams, T. E., Ellis, C., Bochner, A. P., Ploder, A., & Stadlbauer, J. (2020). Autoethnografie. In G. Mey & K. Mruck (Eds.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie: Band 2: Designs und Verfahren (pp. 471–491). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26887-9_43

Akomolafe, B. (2017). These wilds beyond our fences: Letters to my daughter on humanity’s search for home. North Atlantic Books.

Arbeitskreis Kritische Umweltpsychologie der Initiative Psychologie im Umweltschutz e.V., & Psycholo-gists/Psychotherapists for Future e.V. (Eds.) (with Kuhn, S., Krenzer, S., Lillich, I., Reuter, L., Gorki, M., Wollner, K., Stammnitz, A., Naumann, J. L., Hausmann, C. M., Afshar, Y., Alberts, J., Araya-Carvajal, M. A., Barnes, B., Barz, C., Beyerl, K., Bhar, S., Bhar Paul, K., Block, M., Clarke, E., … Rivera, V.). (2024). Kritische Umweltpsychologie: Krisen verstehen, Handlungsfähigkeit entwickeln. Psychosozial-Verlag.

Blühdorn, I. (2020). Die Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit. Skizze einer umweltsoziologischen Ge-genwartsdiagnose. In Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit (pp. 83–160). https://doi.org/10.14361/9783839445167-004

Bösel, B. (2023). Was heißt es, über Gefühle zu verfügen? – Zur genealogischen Kritik der Psychotechnik. In J. Szczepaniak & G. L. Schiewer (Eds.), E-Figurationen. Schriften zur interdisziplinären Emotions-forschung (Vol. 1, pp. 9–22). Harrassowitz Verlag. https://doi.org/10.13173/9783447120593.009

Brand, U., & Wissen, M. (2017). Imperiale Lebensweise: Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im glo-balen Kapitalismus (7. Auflage). oekom Verlag.

Degen, J. L., Rhodes, P., Simpson, S., & Quinnell, R. (2020). Humboldt, Romantic Science and Ecocide: A Walk in the Woods. Human Arenas, 3(4), 516–533. https://doi.org/10.1007/s42087-020-00105-x

Kühn, T., & Bobeth, S. (2022). Linking environmental psychology and critical social psychology: Theoretical considerations toward a comprehensive research agenda. Frontiers in Psychology, 13. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2022.947243

Plesa, P. (2019). A theoretical foundation for ecopsychology: Looking at ecofeminist epistemology. New Ideas in Psychology, 52, 18–25. https://doi.org/10.1016/j.newideapsych.2018.10.002

Rosie, M. (2024) Situierte Subjekte. Resonanz als ethische Kritik der Moderne. Transkript

Slaby, J. (2023). Don’t look up: Affektive Entwirklichung und das gesellschaftlich Ungefühlte. In I. Von Maur, U. Meyer, & S. Walter (Eds.), Wozu Gefühle? Philosophische Reflexionen für Achim Stephan (pp. 67–92). Brill | mentis. https://doi.org/10.30965/9783969752920_005

Slaby, J. (2023) Umfühlen. Gefühlswandel in Zeiten der Klimakrise. In: Anthropologie der Emotionen: Affektive Dynamiken in Kultur und Gesellschaft (pp.275-290). Dietrich Reimer Verlag. https://doi.org/10.5771/9783496030874-275

Slunecko, T. (2017). Beobachtungen auf der eigenen Spur. Bemerkungen zu einem für die Wiener kulturpsychologische Schule charakteristischen Motiv. In T. Slunecko, M. Wieser, & A. Przborski (Eds.), Kulturpsychologie in Wien (pp. 27–54). Facultas.

Stein, S., Andreotti, V., Suša, R., Ahenakew, C., & Čajková, T. (2022). From “education for sustainable development” to “education for the end of the world as we know it.” Educational Philosophy and Theory, 54(3), 274–287. https://doi.org/10.1080/00131857.2020.1835646

von Maur, I. (2023). ›Richtiges Fühlen‹ als Politikum – Gefühlspraxis und Gefühlskritik. In Wozu Gefühle? Philosophische Reflexionen für Achim Stephan. Brill | mentis. https://doi.org/10.30965/9783969752920_004


Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Fr 23.08.2024 16:26