Universität Wien

240054 SE VM5 / VM1 - Frantz Fanon und Fanonismus (2022S)

Kolonialismus, politische Befreiungstheorien und Emanzipationsbewegungen

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 25 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

Die LV startet digital und wird, wenn es die Covid-Bestimmungen wieder zulassen, auf Vor-Ort umgestellt.

  • Dienstag 08.03. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 15.03. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 22.03. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 29.03. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 05.04. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 26.04. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 03.05. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 10.05. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 17.05. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 24.05. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 31.05. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 14.06. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 21.06. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01
  • Dienstag 28.06. 11:30 - 13:00 Seminarraum 7, Kolingasse 14-16, OG01

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

‘Verlassen wir dieses Europa, das nicht aufhört, vom Menschen zu reden, und ihn dabei niedermetzelt, wo es ihn trifft, an allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken der Welt. Ganze Jahrhunderte hat Europa nun schon den Fortschritt bei anderen Menschen aufgehalten und sie für seine Zwecke und seinen Ruhm unterjocht; ganze Jahrhunderte hat es im Namen seines angeblichen ‚geistigen Abenteuers‘ fast die ganze Menschheit erstickt.... Also, meine Kampfgefährten, zahlen wir Europa nicht Tribut, in dem wir Staaten, Institutionen und Gesellschaften gründen, die von ihm inspiriert sind.’
Frantz Fanon 1961, Die Verdammten dieser Erde
Mit diesen Worten avancierte der Autor in den 1960er Jahren zu einem der meist zitierten Theoretikern des Antikolonialismus in der Dritten Welt. Der Titel seines Buches stammt aus der Internationale: Wacht auf, Verdammte dieser Erden. Wirklich berühmt wurde jedoch die Publikation ‘Die Verdammten dieser Erde’ dank des vom französischen Philosophen Jean-Paul Sartre verfassten Vorworts. Frantz Fanon (1925-1961), geboren auf Martinique, studierte nach Kriegsende Medizin in Lyon, bevor er sich auf Psychiatrie spezialisierte.
Angesichts der Tatsache, dass Fanon nicht in Afrika, sondern in den Antillen auf die Welt kam bzw. der Vielfalt der Themenbereiche [Kolonialismus, Unterdrückung, Rassismus, Assimilation und Entfremdung, Befreiung], mit denen er sich befasste, hat sich der Fanonismus zu einer Emanzipationstheorie entwickelt, deren Aktions- und Rezeptionsradius sich über drei Kontinente [Afrika, Europa, Amerika] erstreckte.
Fanon war grundsätzlich der Ansicht, dass die ‘Schwarzen’ nicht gezwungen waren, sich mit der kolonialen Situation abzufinden. Überdies setzte er voraus, dass die Option auf Desalienation, das heißt, auf eine revolutionäre Beendigung des Entfremdungsprozesses, prinzipiell im Kolonialsystem begründet war. Fanon definiert den Kolonialismus als Herrschaftsmoment, in dem der Kolonisierte einer permanenten sozialen Gewalt ausgesetzt und zugleich in ein Befreiungsszenario gedrängt wird. Dementsprechend sollte jeder dominierte Mensch eine militante Haltung einnehmen, damit er seine Würde und Identität wiederherstellen kann. Laut Fanon müssen sich alle ‘Schwarzen’, die unter einem Entfremdungssyndrom leiden, ihre geistigen Fähigkeiten zurückholen bzw. sich in die Lage versetzen, eigene autonome Wertesysteme zu gestalten, welche wiederum eine Emanzipation von den universellen Normen der westlichen Welt voraussetzen.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

Ein Seminar über die Grundsätze des ‘Fanonismus’ hat die Aufgabe, die politische Brisanz sowie Defizite dieser emanzipatorischen Theorie zu beleuchten. Zudem sollen Studenten der Historisch- und Kulturwissenschaften wie auch der Human- und Sozialwissenschaften die Möglichkeit erhalten, sich mit diesen heute vernachlässigten afrikanischen bzw. ‘schwarzen’ Befreiungsideen auseinanderzusetzen. Dies ist umso gewichtiger, wenn wir die aktuelle internationale Konstellation oder die machtpolitischen Strukturen der Globalisierung und insbesondere die Tatsache, dass der Unabhängigkeitsprozess in den einstigen Kolonien noch nicht abgeschlossen ist, in Betracht ziehen. Die quasi unverminderten Abhängigkeitsverhältnisse zwischen afrikanischen Staaten und den ehemaligen Kolonialmächten wie Frankreich oder England, sowie die hegemoniale Politik der USA bzw. Expansion Chinas zeigen die Aktualität emanzipatorischer Grundgedanken. Die Lehrveranstaltung soll Anhaltspunkte zur Untersuchung des Einflusses der Herrschaftsmechanismen des französischen Kolonialsystems auf die Entstehung von Fanons Befreiungstheorie und die gleichzeitige Entfaltung verschiedener Richtungen innerhalb der Emanzipationsbestrebungen darstellen.
Am Beispiel von historischen Quellen und Werken wird der Versuch unternommen, durch Übungen Themen zu finden, Fragestellungen zu formulieren, eigene These aufzustellen, vorhandene Theorien zu analysieren und deuten, historische Zusammenhänge herzustellen.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Regelmäßige und aktive Teilnahme, Referate, Verfassen von kurzen Hausaufgaben bzw. einer Semesterarbeit.

Prüfungsstoff

THEMENVORSCHLÄGE:

1. Momente des Kolonialismus in Afrika
2. Fremdherrschaft und Problematik der Emanzipation
3. Afrikas postkoloniale Staaten
4. Der Kalte Krieg
5. Afrikanische Staaten im Kalten Krieg
6. Konferenz von Bandung (1955); Blockfreie Staaten
7. Der französische Kolonialismus in Algerien
8. Der algerische Befreiungskrieg
9. Momente der Emanzipation in Afrika
10. Die Kubanische Revolution
11. Reaktion der US-Regierung auf die Kubanische Revolution
12. Post-Unabhängigkeit und Politische Krisen in Afrika
13. Patrice Emery Lumumba und die Kongolesische Unabhängigkeit
14. Kolonialismus – Neokolonialismus – Globalisierung in Afrika
15. Antikolonialismus und Antiimperialismus im Kalten Krieg
16. Politische Optionen der Dritten Welt innerhalb der Nord-Süd-Konfrontation
17. Eurozentrismus und Emanzipationstheorien der Dritten Welt
18. Europäische Kommunisten und die koloniale Frage
19. Re-Kolonisierung? Europas Globalisierungspolitik in Afrika
20. Che Guevaras Theorien der Revolution
21. Theorien und Strategien des Guerillakrieges
22. Kubas avantgardistische Rolle im Kampf gegen den internationalen Imperialismus
23. Che Guevara und die Revolution in Afrika
24. Nationalismus-Konzepte und Emanzipationsbestrebungen
25. Dekonnexionspolitik [Samir Amin], Dissoziations- oder Abkoppelungstheorie [Dieter Senghaas, Ulrich Menzel] als taugliche Gegenmodelle zum US-europäischen integrativen und assoziativen Entwicklungskonzept?
26. Frantz Fanon und die Algerische Revolution
27. Die Relevanz des „Fanonismus“ für den Antikolonialismus in der Dritten Welt
28. Revolutionen: ihre Internationalität und Universalismus [Französische Revolution (1789) – Russische Revolution (1917) – Iranische Revolution (1979)]
29. Der Partisanen Krieg nach Che Guevara
30. Vietnamkrieg und US-Domino-Theorie
31. Che Guevara in Bolivien
32. Der african-amerikanische Aufstand in den USA der 1960er Jahre
33. Antikolonialismus - Antiimperialismus - Antikommunismus - Antiislamismus: das Zeitalter des Kontra-Prinzips
34. Der Panafrikanismus in den britischen und französischen Kolonien
35. Fanon in der Negritude-Bewegung
36. Negritude-Theorie und politische Partizipation
37. Panafrikanismus und postkoloniale Kämpfe
38. Negritude: Identitäts- und Frauenpolitik
39. Der Circulus vitiosus der Rassenideologie
40. Rezension des Vorworts von Sartre zu Fanons „Die Verdammten dieser Erde“
41. Black Lives Matter-Bewegung: Aktualität und Relevanz
42. Rezension des Textes von Aimé Césaire „Über den Kolonialismus“
43. Der Kolonialismus im afrikanischen und europäischen Gedächtnis
44. Französische Kolonialideologie und Assimilationsdoktrin

Literatur

1) Frantz Fanon. In: Felix Wemheuer: Linke und Gewalt. Pazifismus, Tyrannenmord und Befreiungskampf. Promedia, Wien 2014, S. 113123
2) David Caute: Frantz Fanon (‘Fanon’, 1970). Dtv, München 1970 (Moderne Theoretiker)
3) Alice Cherki: Frantz Fanon. Ein Porträt (‘Frantz Fanon’, 2000). Edition Nautilus, Hamburg 2002
4) Peter Geismar: Fanon. Dial Press, New York 1971
5) Pramod Nayar: Frantz Fanon. Routledge, London 2013
6) Erik M. Vogt: Jean-Paul Sartre und Frantz Fanon. Antirassismus Antikolonialismus Politiken der Emanzipation. Turia + Kant, Wien / Berlin 2012
7) Udo Wolter: Das obskure Subjekt der Begierde. Frantz Fanon und die Fallstricke des Subjekts der Befreiung. Unrast, München 2001
8) Renate Zahar: Kolonialismus und Entfremdung. Zur politischen Theorie Frantz Fanons. EVA, Frankfurt/M. 1974
9) Peter Hudis: Frantz Fanon: philosopher of the barricades, London: Pluto Press, 2015
10) Fanon, Frantz: Die Verdammten dieser Erde [Vorwort von Jean-Paul Sartre], Frankfurt am Main 1981
11) Fanon, Frantz: Schwarze Haut, weiße Masken, Syndikat Verlag, Frankfurt am Main 1980.
12) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte [Band 12], Frankfurt am Main 1986
13) Melber, Henning: Der Weißheit letzter Schluß. Rassismus und kolonialer Blick, Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 1992.
14) Moneta, Jakob: Die Kolonialpolitik der Französischen KP, Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, Hannover 1968
15) Paz, Octavio: Der menschenfreundliche Menschenfresser. Geschichte und Politik 1971-1980, Frankfurt am Main 1981
16) Said, Edward: Kultur und Imperialismus: Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht, Frankfurt am Main 1994.
17) Said, Edward: Orientalismus, Frankfurt am Main 1981
18) Sarr, Amadou Lamine: Lamine Senghor (1889-1927). Das Andere des senegalesischen Nationalismus, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2011
19) Sarr, Amadou Lamine: Sklaverei und Sklavenhandel aus afrikanischer Sicht. In: Sauer, Walter (Hg.): Vom Paradies zum Krisenkontinent. Afrika, Österreich und Europa in der Neuzeit, Wien 2010.
20) Wallerstein, Immanuel: Die Barbarei der anderen. Europäischer Universalismus, Berlin 2007
21) Amin, Samir: La Déconnexion. Pour sortir du système mondial, Paris 1986
22) Balibar, Etienne / Wallerstein, Immanuel: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin 1990.
23) Césaire, Aimé: Über den Kolonialismus, Berlin 1968
24) Césaire, Aimé: Zurück ins Land der Geburt, Frankfurt am Main 1967

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

IE: VM1 / VM5;
AfriWi: SAL.T1, SAL.T2, SAG.KU.1, SAG.KU.2, SAG.KU.3

Letzte Änderung: Mo 28.02.2022 13:10