Universität Wien

240065 FS FM1 - Forschungsseminar (Teil 1) - Forschungsdesign (2022S)

Generationen ungleicher Bildungsbiographien

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

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Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 20 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

  • Montag 07.03. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 14.03. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 21.03. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 28.03. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 04.04. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 25.04. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 02.05. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 09.05. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 16.05. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 23.05. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 30.05. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 13.06. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 20.06. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1
  • Montag 27.06. 17:15 - 18:45 Seminarraum SG2 Internationale Entwicklung, Sensengasse 3, Bauteil 1

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Der französische Soziologe und Bourdieu-Schüler Didier Eribon schlug mit seiner autobiographischen Untersuchung "Rückkehr nach Reims" hohe Wellen. In seinem Buch zeigte er auf, welchen Schwierigkeiten der soziale Aufstieg trotz hoher Bildung aus der Arbeiterklasse weiterhin unterworfen ist - und wie dies rechtspopulistischen Tendenzen Vorschub leistet. Dem gegenüber steht das Versprechen von fairen Bildungschancen und geöffneten Zugängen für alle, das im Europa der Nachkriegszeit breit getragen wurde und bis heute international bekräftigt wird, nicht zuletzt im Rahmen der Sustainable Development Goals. Es scheint allerdings, dass Bildungswege weiterhin von starker sozialer Ungleichheit geprägt sind, weil soziale Beharrungskräfte stärker sind als meritokratische Versprechungen, und dies im globalen Norden wie auch im globalen Süden.

Aus Sicht der kritischen Sozialwissenschaften gilt Bildung als ungleich verteiltes Gut. Sowohl innernational, innereuropäisch, als auch im Nord-Süd-Verhältnis sind Zugänge zur Bildung wie auch Chancen innerhalb des Bildungssystems so verteilt, dass Bildung nur selten eine Verbesserung der sozialen Situation erlaubt, wenn sie nicht sogar zur Verschärfung von Ungleichheiten beiträgt.

Andererseits aber soll und darf Bildung als Prozess der persönlichen Selbstbestimmung und Subjektformation auch ungleich sein; Uniformität und Zweckorientierung untergraben den emanzipatorischen Charakter von Bildung. Ungleichheit im Sinne von Differenzierung ist Voraussetzung für Freiheit und zur Ermächtigung, den eigenen Weg zu gehen.

Mit dieser doppelten Aporie der Bildung wird sich dieses Forschungsseminar befassen. Konkret gehen wir von der durch quantitative Forschung dokumentierten Situation der Bildungsungleichheit auf globaler Ebene aus (UNESCO, PISA, PIRLS und andere Studien), um uns ausgewählten Differenzkategorien und sozialen Gruppen zu widmen. Besonderes Augenmerk wird hier auf die "Vererbung" von Bildung gelegt, also auf die transgenerationelle Weitergabe von sozialem, kulturellen und ökonomischen Kapital, damit auf Bildungsbiographien. Hierbei wird auf die Arbeiten Pierre Bourdieus rekurriert.

Transgenerationellen Bildungsmustern und -aspirationen soll in weiterer Folge mit Methoden qualitativer Sozialforschung und der Biographieforschung nachgegangen werden: Neben der Analyse von Dokumenten und Selbstzeugnissen stehen Beobachtungen und Interviews, ev. auch Arbeit mit Methoden der generativen Bildarbeit sowie der szenischen Forschung, die in einen sinnvollen Methodenmix gebracht werden. Die Methodologie ist geprägt von den Ansätzen Paulo Freires, bei denen die Frage nach Unterdrückungsverhältnissen wie auch Befreiungspotentialen leitend ist.

Damit sollen individuelle wie gruppenspezifische Bildungswege nachgezeichnet werden. Wir folgen dabei den Reflexionswegen von Didier Eribon sowie Annie Ernaux, individuelle Biographien mit strukturellen Kräften zusammen zu denken. Mitunter führen diese Recherchen zurück in "fremde" Herkunftsmilieus oder Fluchtgebiete im Globalen Süden, damit auch zur Befassung mit Bildungspolitiken im Herkunftskontext.

Im Sinne eines selbstkritischen und reflektierten Forschungszuganges ist dieses FOSE als "hermeneutische Doppelhelix" konzipiert: Zwei Spiralen des Forschens bestärken und befördern einander, weshalb der Prozess des Forschens selbst parallel reflektiert, dokumentiert und insofern im Rahmen der begleitenden Forschungssupervision ebenfalls erforscht wird.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

1. Anwesenheitspflicht
2. Vorbereitung und gemeinsame Diskussion der kollektiven Grundlagenlektüre; regelmäßige Abgaben kleinerer Aufgaben zur Textreflexion
3. Führung und monatliche Abgabe eines Forschungstagebuchs
4. Präsentation und Diskussion der Gruppenarbeitsprozesse in der Lehrveranstaltung
5. Entwicklung und schriftliche Ausarbeitung des Forschungsdesigns, das in Gruppenarbeit im Verlauf des Semesters erstellt wurde. Abgabe: Ende Juli 2022

Das Forschungsdesign wird in der weiterführenden Lehrveranstaltung im WS 2022/23 als FM2 im Masterprogramm umgesetzt.

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Die Studierenden entwerfen in Forschungsgruppen unter Bezugnahme auf Konzepte der sozialen Ungleichheit, Bildungssoziologie und Transgenerationalität eine eigenständige, transdisziplinäre qualitative Forschung und bringen diese in ein durchführungsreifes Stadium. In diesem Prozess werden die spezifischen Möglichkeiten qualitativer Forschung ebenso wie das Konzept der Transdisziplinarität (Td) reflektiert.

In Stichworten zusammengefasst: Entwurf eines Forschungsprojektes, Stärkung der Fähigkeit zur Konzipierung eigener Forschungsvorhaben, Reflexionsfähigkeit zu Forschungsprojekten mit kritischem Anspruch, selbstreflektiertes Lernen der Studierenden.

0-50 Punkte: nicht genügend, 51-60 Punkte: genügend, 61-70 Punkte: befriedigend, 71-80 Punkte: gut, 81-100 Punkte sehr gut.

Journal: je 10%, Konzept: 10%, Präsentation: 20%, Forschungsdesign: 40% (Abgabe 31.7.2022)

Umfang: 15 Seiten Mindestumfang (max. 30 Seiten) pro Gruppenmitglied, exkl. Deckblatt u. Literatur.

Prüfungsstoff

Die Methodologie der LV folgt einer "hermeneutischen Doppelhelix":

1. Strukturierte und schrittweise Erarbeitung und Entwicklung von Verfahren der qualitativen Sozialforschung im Methodenmix; begleitend dazu:

2. Selbstreflexion und Forschungssupervision. Regelmäßige Reflexionssitzungen, Forschungstagebuch, individuelle Literaturlektüre und Recherche, Inputs und Präsentationen der Studierenden.

Literatur

Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1964): Les héritiers: les étudiants et la culture, Les Éditions de Minuit, Reihe. „Grands documents“ Nr. 18, Paris 1964. Deutsche Teilübersetzung: Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs, übersetzt von Barbara und Robert Picht, bearbeitet von Irmgard Hartig, Klett, Stuttgart 1971.

Englert, Birgit/Dannecker, Petra (2014): Praktische und ethische Aspekte der Feldforschung. In: dies. (Hg.): Qualitative Methoden in der Entwicklungsforschung. Wien: Mandelbaum. S. 233-265.

Eribon, Didier (2016): Rückkehr nach Reims. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Ernaux, Annie (2019 [1983]): Der Platz. Aus dem Französischen von Sonja Finck. Suhrkamp.
Faschingeder, Gerald/Kolland, Franz (2015): Bildung und ungleiche Entwicklung. Konvergenzen und Divergenzen in der Bildungswelt. nap: Wien (= Historische Sozialkunde/Internationale Entwicklung Bd. 34)

Freire, Paulo (1971): Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Vom Verfasser autorisierte deutsche Übertragung von Werner Simpfendörfer. Stuttgart: Kreuz-Verlag [später: Reinbeck/Hamburg: Rowohlt, 1973].

Lassnigg, Lorenz (2015): Das ‚österreichische Modell‘ der Bildungsungleichheit: Hohe soziale Reproduktion, starke Umverteilung, politische Polarisierung. Institut für Höhere Studien (IHS), Wien. https://www.ihs.ac.at/publications/soc/rs109.pdf (20.4.2018)

Novy, Andreas; Beinstein, Barbara; Voßemer, Christiane (2008): Methodologie transdisziplinärer Entwicklungsforschung. Aktion & Reflexion Heft 2. Herausgegeben vom Paulo Freire Zentrum. Wien, Oktober 2008. http://ungleichevielfalt.at/documents/AR/Aktion&Reflexion_Heft-2.pdf (11.4.2015)

Krüger, Heinz-Hermann/Rabe-Kleberg, Ursula/Kramer, Rolf-Torsten/Budde, Juergen (Hg.): Bildungsungleichheit revisited: Bildung und soziale Ungleichheit vom Kindergarten bis zur Hochschule. VS: Wiesbaden 2011.

Woolf, Virginia (2004 [1929]): A Room of one’s own. London: Penguin Books.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

FM1

Letzte Änderung: Di 08.03.2022 10:29