Universität Wien

490216 SE Gestaltung inklusiver Bildungsprozesse (2022W)

4.00 ECTS (2.00 SWS), SPL 49 - Lehrer*innenbildung
Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung
KPH

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 25 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine

Lacknergasse 89
1180 Wien
Seminarraum 2 (WLA01SR2)

Donnerstag 27.10.2022 15-18 Uhr
Donnerstag 3.11.2022 15-18 Uhr
Donnerstag 17.11.2022 15-18 Uhr
Donnerstag 1.12. 2022 15-18 Uhr
Donnerstag 12.01.2023 15-18 Uhr
Donnerstag 26.01.2023 15-18 Uhr


Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Atmosphären in Schulen. (Neo-)phänomenologische und
bildungswissenschaftliche Perspektiven

Seit einigen Jahren hat sich eine phänomenologische Erziehungswissenschaft etabliert, in der in unterschiedlicher Weise die pädagogische Erfahrung und das Begriffspaar Leib/Körper eine zentrale Rolle einnehmen (Brinkmann 2019, Meyer-Drawe 1991, Lippitz 2003). Mit dem Leibbezug der Phänomenologie wird eine einseitige Auflösung von Selbst und Fremdem in einer höheren Einheit aufgegeben, wie sie in der cartesianischen Dualität von Körper und Geist oder der Hegelschen Dialektik angelegt ist. Im Anschluss an phänomenologische Strömungen gründete Hermann Schmitz die Neue Phänomenologie, in der er zwei grundsätzliche Hauptanliegen verfolgt. Zum einen möchte er die Introjektion der Gefühle überwinden, zum anderen möchte er der unwillkürlichen Lebenserfahrung des Menschen eine Sprache geben (vgl. Schmitz 2014). Die Leiblichkeit stellt das Fundament seiner Phänomenologie dar. Schmitz geht von einer elementaren Unterscheidung von Körper und Leib aus. Der Körper verweist auf einen naturwissenschaftlich objektivierenden Zugriff. Er kann gemessen, gesehen und ertastet werden. Der Leib hingehen stellt einen gefühlten bzw. gespürten Körper dar, der nach Schmitz von „leibliche[n] Regungen, wie z.B. Angst, Schmerz, Wollust, Hunger, Durst, Ekel, Frische, Müdigkeit“ (Schmitz 2014, S.32f.) ergriffen ist. Er vertritt die zentrale These, dass „Gefühle […] räumlich ergossene Atmosphären und leiblich ergreifende Mächte [sind]“ (Schmitz 2016, S.30). Personen werden von Atmosphären in Form von Gefühlen ergriffen, die sie leiblich erfahren. In den letzten Jahren lässt sich ein zunehmendes Interesse an Schmitz‘ Leib- und Atmosphärentheorie in den Sozial-, Kultur-, und Erziehungswissenschaften beobachten. In sozial- und kulturwissenschaftlichen Abhandlungen wird im Anschluss an Schmitz etwa die Frage nach einer Affektivität des Sozialen aufgeworfen (Gugutzer 2012, Wellgraf 2018, Pfaller/Wiesse 2018). In der Erziehungswissenschaft wird hinsichtlich der Leib- und Atmosphärentheorie nach Zugängen zu Gefühlen im Kontext von Lern- und Bildungsprozessen sowie nach deren atmosphärischen Bedingungen gefragt (Huber/Krause 2018).

Im Kontext der erziehungswissenschaftlichen Rezeption phänomenologischer und neophänomenologischer Befunde zur Leiblichkeit und zu Gefühlen beabsichtigt das Seminar, sich der Analyse von Subjektverständnissen in ihren leiblichen Dimensionen zuzuwenden und deren Bedeutsamkeit für bildungswissenschaftliche Fragestellungen im schulischen Kontext zu diskutieren. Anhand von Praxisbeispielen (Vignetten) sollen Formen des Lernens sowie ihre sozialen (Ermöglichungs-)Bedingungen analysiert und reflektiert werden. Dabei werden folgende Fragen bearbeitet: Was kann es für einen Wahrnehmungsprozess bedeuten, wenn der Körper als leibliches Medium aufgefasst wird? Worin liegt die Bedeutung der leiblichen Dimension für Lern- und Bildungsprozesse? Welche Rolle nehmen Gefühle - wie Scham und Langeweile - aus einer leibphänomenologischen Perspektive in Lern- und Bildungsprozessen ein? Welchen Beitrag kann eine phänomenologische Atmosphärentheorie für eine Lern- und Schulkultur leisten?
Diesen Fragen geht das Seminar anhand einschlägiger Werke aus Phänomenologie und Neophänomenologie nach. In einem ersten Teil werden hierzu die bedeutsamen phänomenologischen Grundlagen erarbeitet. Daran anschließend wird die phänomenologische Rezeption in Bildungs- und
Erziehungswissenschaften aufgenommen sowie Praxisbeispiele (Vignetten) unter der Frage nach deren Möglichkeiten und Grenzen pädagogischer Theorie- und Praxisrelevanz diskutiert.

Fallarbeit und Praxisbeispiele, Textarbeit, Gruppenarbeit, Präsentationen und Diskussionen

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

- proaktive Teilnahme an der Lehrveranstaltung
- aktive Lektüre bzw. regelmäßige Literaturaufträge
- Gruppenimpulsreferat inkl. Handout
- Verfassen einer Vignettenlektüre

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

• proaktive Teilnahme an der Lehrveranstaltung
• regelmäßige Literaturaufträge (20%)
• Gruppenimpulsreferat inkl. Handout (30%)
• Verfassen einer Vignettenlektüre (ca. 10 Seiten), es besteht
auch die Möglichkeit zu zweit eine Vignettenlektüre zu
schreiben (ca. 20 Seiten) (50%)

Prüfungsstoff

wird in der LV bekannt gegeben

Literatur

Böhme, Gernot (2001): Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München: Wilhelm Fink Verlag.
Böhme, Gernot (2013): Architektur und Atmosphären. München: Wilhelm Fink.
Böhme, Gernot (2017): Atmosphäre. Essay zur neuen Ästhetik. Berlin: Suhrkamp.
Brinkmann, Malte, Türstig, Johannes, Weber-Spanknebel, Martin (2019): Leib – Leiblichkeit –Embodiment. Pädagogische Perspektiven auf eine Phänomenologie des Leibes. Springer VS.
Demmerling, Christoph (2011): Gefühle, Sprache und Intersubjektivität. In: (Hrsg.) Andermann, Kerstin, Eberlein Undine. In: Gefühle als Atmosphären. Neue Phänomenologie und
philosophische Emotionstheorie. Berlin: Akademie Verlag., S. 46.
Gugutzer, Robert (2012): Verkörperungen des Sozialen. Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen. Bielefeld. Transcript.
Heller, Ágnes (2020): Theorie der Gefühle. Innsbruck: university press.
Huber, Matthias, Krause, Sabine (2018): Bildung und Emotion. Wiesbaden: Springer VS.
Husserl, Edmund: (1973): Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Erster
Teil: 1905-1920. (Hrsg.): Iso Kern, Den Haag.
Lippitz, Wilfried (2003): Differenz und Fremdheit - phänomenologische Studien in der Erziehungswissenschaft. Frankfurt a. M.: Lang.
Merleau-Ponty, Maurice (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung. (Hrsg.): C.F. Graumann und J.
Linschoten. Band 7. Walter de Gruyter & Co./Berlin.
-; (1993): „Die Wahrnehmung des Anderen und der Dialog“. In: Die Prosa der Welt. (Hrsg.): Claude
Lefort. Dt. Ausgabe Waldenfels. München: Wilhelm Fink Verlag, S.147-161.
-; (2003): Das Auge und der Geist. Hamburg: Felix Meiner Verlag.
-; (2004): Das Sichtbare und Unsichtbare. (Hrsg.): Eßbach, Wolfgang, Waldenfels, Bernhard. Band 13.
München: Wilhelm Fink Verlag.
Meyer-Drawe, Käte (1984): Leiblichkeit und Sozialität. Phänomenologische Beiträge zu einer
pädagogischen Theorie der Inter-Subjektivität. München: Fink.
-; (1991): Leibhafte Vernunft – Skizze einer Phänomenologie der Wahrnehmung. In:
Körperbewusstsein, Hrsg. Josef Fellsches, 80-97. Beiträge zur Theorie und Kultur und der Sinne,
Folkwang-Texte 2, Essen: Die Blaue Eule.
-; (2002): „Die Dichte der Dauer. Phänomenologische Notizen zu den Grenzen des Verstehens bei
Merleau-Ponty“. In: Kühne-Bertram, Gudrun/Scholtz, Gunter (Hrsg.): Grenzen des Verstehens. 4 Philosophische und humanwissenschaftliche Perspektiven. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 163-171.
-; (2007): „,Du sollst dir kein Gleichnis machen…ʻ - Bildung und Versagung.“ In: Koller, HansChristoph/Marotzki, Winfried/Sanders, Olaf (Hrsg.): Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrung.
Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Bielefeld: transcript, S. 83-95.
-; (2010): „Leib, Körper“. In: Bermes, Christian/Dierse, Ulrich (Hrsg.): Schlüsselbegriffe der Philosophie
des 20. Jahrhunderts. Hamburg: Felix Meiner Verlag, S.207-219.
-; (2012): Diskurse des Lernens. München: Wilhelm Fink.
-; (2015): „Lernen und Bildung als Erfahrung“. In: Lernen und Bildung als Erfahrung. In: Christof &
Ribolits (Hrsg.): Bildung und Macht. Eine kritische Bestandsaufnahme. Wien: Löcker.
-; (2016): „Wenn Blicke sich kreuzen. Zur Bedeutung der Sichtbarkeit für zwischenmenschliche
Begegnungen.“ In: Jung, Matthias/Bauks, Michaela/Ackermann, Andreas (Hrsg.). In: Dem Körper
ein-geschrieben. Verkörperung zwischen Leiberleben und kulturellem Sinn. Wiesbaden: Springer VS, S.37-54.
Pfaller, Larissa, Basil, Wiesse (2018): Stimmungen und Atmosphären. Zur Affektivität des Sozialen. Wiesbaden: Springer.
Schmitz, Hermann (2014): Kurze Einführung in die Neue Phänomenologie. Freiburg u.a.: Alber.
Schmitz, Hermann (2016): Atmosphären. Freiburg/München: Verlag Karl Alber.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Fr 12.01.2024 00:39