070161 GR Theories and Methodologies of History (2008S)

Der Soziologe Rogers Brubaker stützt sich auf eine literarische Formulierung der Schriftstellerin Slavenka Drakulic - to be "overcome by nationhood" - , um sein Konzept der Nation als ein mögliches/ bedingtes Ereignis ("contingent event") zu vermitteln und verweist damit implizit auf die Schwierigkeiten rezenter Theorien des Nationalismus, ihre Konzepte auch außerhalb der engen Zirkel theoretischer Produktion plausibel zu machen. Wer sich mit Nation und Nationalismus als gesellschaftlichen Phänomenen auseinandersetzt, ist mit auffälligen Ungleichzeitigkeiten konfrontiert. Einer Renaissance identitätspolitischer Diskurse, die sich auf ein "Nationales" berufen, stehen theoretische Diskurse gegenüber, die auch Kategorien wie die in postkolonialen Diskursen viel beschriebene "nationale Identität" zurückweisen. Evident wird dies nicht zuletzt in sehr diversen feministischen Auseinandersetzungen mit "Geschlecht und Nation", die sich zwischen der Verabschiedung beider Konzepte und ihrer emphatischen Inanspruchnahme als Basis politischen Engagements bewegen. Die Kulturanthropologin Katherine Verdery schlägt vor diesem Hintergrund vor, "Nation" nicht als eine fixierbare Größe anzusehen, sondern vielmehr als ein Symbol, das in verschiedenen Kontexten die unterschiedlichsten Bedeutungen erlangen kann und um dessen legitimatorische Kraft Gruppen mit ganz unterschiedlichen Anliegen konkurrieren.
Anliegen der geplanten Lehrveranstaltung ist es, in Anknüpfung an diesen Vorschlag einige Begriffsbildungen und Thesen neuerer Theorien vorzustellen und zu diskutieren.