080108 UE Course (Summer course): Matter/Materialities - Form/Formlessness (2023S)

Die Übung widmet sich der von Materialismen und Prozessdenken geprägten Kritik am klassischen Dualismus von Form und Materie – einer Kritik, die seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert wieder aktuell geworden ist. Das Programm ist in zwei Blöcke gegliedert: von der Zeit um 1900 bis zum zweiten Weltkrieg und von den 1950er Jahren bis zum Ende des 20. Jhs.
Nach einem kurzen Blick auf die Vorgeschichte der Unterscheidung der Form und Materie in der Kunsttheorie (Aristoteles, Winckelmann, Goethe…) beginnen wir unsere Lektüren mit Kapiteln aus bahnbrechenden kunsttheoretischen Texten der Moderne (Hildebrandt, Riegl, Wölflin), die wir anhand von beispielhaften Werken im KHM diskutieren. Im Anschluss daran beschäftigen wir uns einerseits mit materialistischen Positionen in der bildenden Kunst und im Film der frühen Sowjetunion (Tatlin, Rodchenko&Stepanova, Gan, Eisenstein), andererseits mit dem parallel dazu entwickelten Formdenken von Paul Klee und Carl Einstein. Wir verlassen die Vorkriegsmoderne mit einem Blick auf jene Kritik des Anthropomorphismus, die in der Zeit des Nationalsozialismus am Collège de Sociologie von Autoren wie Bataille und Callois entwickelt wurde und die Nachkriegszeit deutlich prägen sollte.
Nach den zu philosophischen Lektüren anregenden Ferienwochen werden wir uns mit dem Nachdenken über Technik und Produktion bei Simondon, Deleuze und Guattari und sowie mit der Theoretisierung von Lebensformen bei Deleuze und Donna Haraway beschäftigen. Wir werden auch die im ausgehenden 20. Jahrhundert beobachtbare kunsttheoretische und kunstgeschichtliche Rezeption der modernen Formkritik (Krauss&Bois, Michael Fried, Didi-Hubermann) berücksichtigen und sie anhand selbstgewählter Werkbeispiele diskutieren.
Die unvollständige, aber aus meiner Sicht signifikante Auswahl der Lektüren sollte zur historischen Kontextualisierung und einem besseren Verständnis der im 21. Jh. laufenden kunsttheoretischen Diskurse beitragen.