090089 PS "Kleine Literaten". Die leise Stimme im Kanon (2010W)

In den 80er und 90er Jahren kehrt eine kleine Gruppe von griechischen Lyrikern, unter ihnen Dionysis Kapsalis, Giorgos Koropoulis und Ilias Lagios, zu strenger Metrik und klaren Reimstrukturen zurück. Ihre Gedichtsammlungen (Triodio, 1991, Strauss, 1993) und manifestartigen Essays - von der Kritik als faszinierendes "poetisches Retro" und hoffnungsvoll gar als "postmoderne Lyrik" begrüßt - nehmen dabei vor allem Bezug auf die "kleinen Literaten" der Zwischenkriegszeit (etwa Philyras oder Agras). Angesichts eines solchen historischen wie poetologischen Rekurses und der in Griechenland anhaltenden Debatte um eine mögliche littérature mineure innerhalb des Kanons will das Seminar die Frage nach dem Kleinen, dem Peripheren, dem Minderwertigen, dem Minoritären stellen und diese Konzepte auf ihren literarisch wertenden, künstlerisch subversiven, parodistischen oder politischen Gestus hin überprüfen. Denn wie Karyotakis als "großer Geringer" gelten kann, ohne dass seiner Dichtung damit Mängel unterstellt würden, so hat die Selbstinszenierung der Autorengruppe um Kapsalis und Koropoulis als poetae minores fraglos wenig mit Bescheidenheit zu tun. Die "leise Stimme" also als Alternative zur etablierten Literatur der Meister, die Minderheit als Freiheit zu verstehen, das ist das zentrale Ansinnen der Lehrveranstaltung.