090210 VO Introduction to juristic papyrology (2008W)

Die griechischen Papyri aus Ägypten sind als direkte Zeugnisse des Alltagslebens gerade für die Rechtsgeschichte von größter Bedeutung. Während uns das römische Recht vor allem aus den von Juristen verfassten theoretischen Schriften überliefert ist, geben die Papyri anschauliche Einblicke in die Rechtspraxis: Verträge, Schuldscheine und Testamente zeigen, wie Private ihre Rechtsverhältnisse gestalteten. Behördliche Akte und Gerichtsprotokolle führen uns die obrigkeitliche Rechtsanwendung vor Augen. Demgegenüber sind Rechtnormen nur in geringem Maße überliefert und das angewandte Recht kann meist nur mittelbar aus der Praxis erschlossen werden. Dazu kommt, dass aufgrund des Zusammenlebens verschiedener Kulturen in Ägypten mehrere Rechtskreise aufeinander treffen: Zu dem alten ägyptischen Recht tritt erst griechisches und schließlich römisches Recht. Doch entspricht die Rechtsanwendung in der Provinz oft nicht den Kriterien der römischen Juristen, sondern zeigt strukturelle Eigenheiten. Damit gehören Themen wie das Ausmaß der Romanisierung, das Verhältnis von "Reichsrecht" und "Volksrecht", die Herkunft einzelner Rechtsbräuche und die mögliche gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Rechtskulturen zu jenen vielschichtigen Fragen, die bei der Beschäftigung mit Papyri juristischen Inhalts auftreten, die immerhin die Hauptmasse des auf Papyrus erhaltenen Textmaterials ausmachen.