100128 SE Modern German Literature (2023S)

Der Historiker Bernd Stöver beschreibt den Kalten Krieg in seiner umfassenden Studie als „totalen Konflikt“, der zwischen 1947 und 1991 alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens betraf, als permanenten und aktiv betriebenen „‘Nicht-Frieden’, in dem die Auseinandersetzung politisch-ideologisch, ökonomisch, technologisch-wissenschaftlich, kulturell-sozial und militärisch geführt wurde“ (Stöver 2007, 76). Auch das Feld der Literatur war vom Kalten Krieg geprägt, besonders in Österreich, das sich geopolitisch an der Grenzlinie zwischen den verfeindeten Mächten befand. Staatliche Einrichtungen von Ministerien bis zu Bundestheatern förderten oder behinderten Literatur aus politischen Motiven, die politischen Parteien versuchten Autoren wie Texte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, Schriftstellerinnen und Schriftsteller standen unter dem Druck, sich zu einer der beiden Seiten der Systemkonkurrenz zu bekennen, so manche agierten als deren Propagandisten in journalistischen wie literarischen Texten, in öffentlichen Debatten und in geheimen Intrigen gegen die vermeintlichen Feinde. Aber es gibt in der österreichischen Literatur der 1950er und 1960er Jahre, auf die sich das Seminar konzentrieren wird, auch hellsichtige Analysen und anspruchsvolle Zeitromane, die sich mit der Konfrontation der politischen Systeme und Ideologien kritisch auseinandersetzen. Das Seminar wird sich mit ausgewählten Texten von Agententhrillern über Propagandastücke bis zu politischen Romanen beschäftigen. Für die (literatur-)historische Einordnung unerlässliche Kontexte werden in Form von Referaten in das Seminar eingebracht werden.