160073 SE The Cantigas de Santa Maria and the Multicultural Middle Ages (2023W)

Die Cantigas de Santa Maria eignen sich gut für Analyse, Diskussion und Debatte im Rahmen eines Seminars. Erstens ist das Repertoire klar abgegrenzt, d.h. es handelt sich um etwa 420 kurze Marienlieder aus dem 13. Jahrhundert in galicisch-portugiesischer Sprache, die in vier Haupthandschriften überliefert wurden. Die Lieder selbst sind unendlich interessant, denn viele von ihnen handeln von Wundergeschichten, in die alle möglichen Menschen einbezogen sind - Männer und Frauen, Junge und Alte, Reiche und Arme - in allen möglichen schwierigen Situationen. Bei der Untersuchung der Lieder gibt es jedoch zwei große analytische Herausforderungen. Zum einen scheinen sich die poetischen und musikalischen Formen eines einzelnen Liedes nicht immer zu überschneiden, so dass z. B. eine Erzählung über ein Wunder durch Refrains unterbrochen werden kann. Andererseits wirft das Auftauchen desselben Liedes in verschiedenen Handschriften mit unterschiedlichen Notationsformen Fragen nach dem Rhythmus dieser Lieder auf. Von besonderer Bedeutung für das Verständnis dieser Lieder sind die Illuminationen in den Liederhandschriften, die Interpreten und Instrumente aus verschiedenen Kulturen und Religionen am Hof von Alfons X. (1221-1284) vorstellen. Das Verständnis des multikulturellen Charakters dieses kreativen und intellektuellen Umfelds ist nicht nur der Schlüssel zur Interpretation der Lieder, sondern auch zum besseren Verständnis des historiografischen und ideologischen Konzepts des gemeinsamen Zusammenlebens - convivencia -, das heute Teil der politischen Diskurse auf der iberischen Halbinsel und darüber hinaus ist.