180152 VO-L Satyagraha and Anarchy (2025W)

Diese Vorlesung mit Lektüre zur interkulturellen Philosophie kombiniert inhaltlich folgende Aspekte:

Einerseits führt sie in die Grundfragen und -methoden der interkulturellen Philosophie ein. Sie bespricht dabei die Idee einer dekolonialen, nicht-zentristischen und anti-hegemonialen Herangehensweise an philosophische Problemstellungen.

Andererseits tut sie dies an einem direkten Anschauungsbeispiel, indem sie die Grundkonzepte und -zielsetzungen des Anarchismus mit den Schriften und dem Handeln Mahatma Gandhis gegenliest und reflektiert, der sich selbst als "Anarchist of a different type" (1916) bezeichnet hat. In der Tat wurde Gandhi schon in jüngeren Jahren sowohl durch Lektüre als auch durch persönliche Begegnungen mit den Ideen des Anarchismus bekannt und sie übten nachhaltigen Einfluss auf ihn aus (v.a. etwa durch Tolstoi, Thoreau oder Ruskin). Der "different type" wurde aus diesem Anarchismus durch Gandhis Zusammenführung anarchistischer Ansätze mit den Yamas und Sadharana Dharmas des Hinduismus, Buddhismus und Jainismus sowie deren wechselseitiger Befruchtung aus Baghavad Gita, Bibel und Koran.

Zentrales Resultat war ab 1906 bis zu seinem Lebensende die schrittweise Entwicklung des Konzeptes "Satyagraha" (u.a.: "Wahrheitshandlung", "Seinsdurchführung", lt. Gandhi auch "Seelenkraft"). Satyagraha besteht aus situationsoffenen Handlungsformen anarchistischen Widerstandes, Handelns und Denkens auf spirituellen, ethischen und lebenskonkreten Fundamenten. Auf dieser Basis etablierten sich unter dem direkten Einfluss Gandhis sowohl in Südafrika als auch in Indien erfolgreiche Befreiungsbewegungen. Auch über Gandhis Tod hinaus übte Satyagraha Einfluss aus, z.B. in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, den südafrikanischen Anti-Apartheidsbewegungen oder jüngst im sog. arabischen Frühling.

Aus diesem Grund widmet sich die Vorlesung den Kernansätzen von Satyagraha als Exempel einer interkulturellen Philosophie, die sowohl in Theorie als auch in Praxis umgesetzt wurde und wird. Dabei werden Grundlagen, Anwendungsmethoden, Risiken und Zielsetzungen aus Blick anarchistischer, theologischer und sozio-politischer Perspektiven untersucht, evaluiert und in die Kritik genommen. Auch Gandhi selbst wird sowohl als einflussreicher Philosoph und anarchistischer Akteur wie auch in seinen zum Teil persönlich streitbaren und problematischen Handlungen und Aussagen reflektiert.