210062 VO BAK9: SpezialVO Political Theories and Research on Theories (2023S)

Ziel der Vorlesung ist es, die Relevanz des „Politischen“ für einen angemessenen Zugang zu den gegenwärtigen Herausforderungen konkreter Politik herauszuarbeiten. Dies soll jedoch nicht durch das Nebeneinanderstellen unterschiedlicher „Denk-Modelle“ des Politischen erfolgen, sondern über eine Analyse konkreter historischer Phänomene in der abendländischen Geistesgeschichte, an denen der - zumeist unreflektierte - Hintergrund der Entfaltung und Begründung politischer und juridischer Ordnungen sichtbar wird. Die Vorlesung wird in diesem Sinn einen „roten Faden“ verfolgen.

Für diese Aufgabe bietet sich das vor kurzem abgeschlossene 20-jährige „Homo-Sacer-Projekt“ von Giorgio Agamben an. In diesem breit angelegten Werk wird an zahlreichen als „archäologisch“ bezeichneten Einzeluntersuchungen eine bestimmte Eigenart des Politischen erkennbar, das unsere politische Kultur von den Griechen bis in die Gegenwart bestimmt: die offensichtlich unhintergehbare Struktur einer „einschließenden Ausschließung“. Was es damit auf sich hat und inwiefern darin ein „ursprüngliches politisches Element“ erkennbar wird, wird anhand von Textlektüren vor allem aus dem Projekt Agambens, aber auch damit zusammenhängender Analysen in Texten anderer Autor*innen in der Vorlesung entfaltet. (Eine Einführung in das Denken von Agamben, seine Arbeitsweise und seinen »geschichtlich-archäologischen« Zugang zu politischen Fragestellungen wird zu Beginn der Vorlesung gegeben - und daran auch der Aufbau der Vorlesung erläutert.)

Die Aufmerksamkeit auf das Phänomen und die Struktur dessen, was sich der herrschenden Ordnung entzieht („einschließende Ausschließung“), findet sich zumeist unter anderem Namen auch in anderen gegenwärtigen Ansätzen des Politischen (z. B. Leerstelle, Ereignis, Alterität, Antagonismus, Differenz/différance). Daher werden in der Vorlesung immer wieder Bezüge zu anderen Autor*innen und aktuellen Herausforderungen hergestellt (Kritik der Souveränität, Grundlegung einer nicht-souveränen Gemeinschafts- und Institutionentheorie, politische Ansätze aus der Gender-/Queer-/Trans-Theory). Ziel der Vorlesung ist es letztlich, nicht einfach einen einzelnen Ansatz bzw. ein Werk vorzustellen, sondern für Bachelor-Studierende einen Zugang zum Verständnis und zur Struktur des Politischen zu eröffnen, der eine fruchtbare „Lektüre“ unterschiedlicher Ansätze ermöglicht. In diesem Sinn ist der Untertitel „Das Politische lesen lernen“ zu verstehen.

Neben den Texten von Giorgio Agamben werden in der Vorlesung auch zentrale Begriffe und historische Beobachtungen aus dem Werk von Jacques Derrida im Zentrum stehen. Es soll gezeigt werden, wie sich gerade aus einem politischen Verständnis der Dekonstruktion auch konkrete Kriterien (nicht „Modelle“!) für politisches Handeln formulieren lassen, die der Struktur der (unhintergehbaren) einschließenden Ausschließung entsprechen. So werden u.a. Derridas Analyse der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Identität Europas für Konsequenzen aus Agambens Beobachtungen zur Struktur des Politischen herangezogen werden.

Die „Methode“ der Vorlesung lässt sich am besten als ein Close-Reading vorliegender Texte bzw. zusammenhängender Textpassagen beschreiben, die online zur Verfügung gestellt und in der VO an die Wand projiziert, besprochen und diskutiert werden.