Universität Wien

420004 SE De/Kolonisierung des Geistes (2023W)

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

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Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").

Details

max. 20 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine

11.10.2023 - 31.01.2024, jew. Mittwoch, 11-13 Uhr;
Institut für Afrikawissenschaften, Seminarraum 2


Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

In den letzten Jahrzehnten hat die Rede von der „Dekolonisierung des Geistes“ hohe Wellen geschlagen (Achille Mbembe, Felwine Sarr u.a.). Nicht zuletzt mit Ngugi wa Thiong`o hat speziell diese titelgebende Phrase seit 1986 dazu gedient, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass die „Unabhängigkeiten“ und die weltweite Durchsetzung des Nationalstaatsprinzips während der sogenannten Dekolonisationsära nicht zu der erhofften Befreiung der nun ehemaligen kolonialen Länder aus den Abhängigkeiten von dominanten Akteuren in internationaler Politik und kapitalistischer Weltwirtschaft geführt hatten, aber auch nicht aus mentalen Abhängigkeiten. Dass die Diagnose einer fortwirkenden „kolonialen Mentalität“ (Fela Kuti, Albert Memmi, Aimé Césaire u.a.) auch in nachkolonialen, nachimperialen Zeiten – unter deklariert „postkolonialen“ Verhältnissen also – in ihrer Gültigkeit aufrecht zu bleiben drohte, davor warnten antikoloniale Theoretiker und Praktiker (Frantz Fanon, Kwame Nkrumah, Samir Amin u.a.) schon früh, ab Mitte der 1950er Jahre. In gewissem Sinn hat die Notwendigkeit einer „Dekolonisierung des Geistes“ – inklusive der Einsicht, dass ein solches Bemühen eine nicht nur dringliche Aufgabe ist, sondern in unermüdlicher Tätigkeit und Praxis immer und immer wieder artikuliert und recht eigentlich gelebt werden muss – bereits noch einige Jahrzehnte früher außereuropäische Denker beschäftigt und umgetrieben. Das gilt nicht nur für jene explizit antikolonial gestimmten Geister, die Eingang in die erinnerte Geschichte des Antikolonialismus gefunden haben (W.E.B. DuBois, George Padmore u.a.), sondern auch für andere afrikanische Intellektuelle, die sich mit imperialen Ambitionen konfrontiert und Situationen ausgesetzt sahen, ohne jedoch dezidiert oder grundsätzlich Partei gegen das Imperium zu ergreifen (E.W. Blyden, Africanus Horton, J.E. Casely Hayford u.a.). Die Forderungen nach „Dekolonisierung des Geistes“ und Befreiung aus dem beengenden Rahmen einer „kolonialen Mentalität“ haben also eine durchaus lange Geschichte, die in Erinnerung zu rufen einerseits Olufemi Taiwos wichtige Forderung erfüllt, „afrikanische Agency ernst zu nehmen“ und die historische Handlungsmacht von „Kolonisierten“ aufzuzeigen, und andererseits Gegenstand dieses fakultätsübergreifenden Doktorandenseminars sein soll. Anhand von ausgewählten Textlektüren und -diskussionen werden zum einen wichtige Stimmen des Antikolonialismus kenntlich und greifbar vorgestellt, zum anderen erfolgen begriffskritische Arbeit („Kolonialismus“, „Postkolonie“ u.a.) sowie historische Kontextualisierungen hinsichtlich der Kolonialgeschichte und der darauffolgenden staatlichen Unabhängigkeiten. Auch wenn afrikanische Beispiele und Textbeiträge das Seminar dominieren werden, ist das Thema von „überörtlicher“ globaler Relevanz. Studierende sind eingeladen, ihre Erfahrungen hinsichtlich anderer (post/kolonialer) Weltregionen aktiv einzubringen.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

- Anwesenheit
- engagierte Mitarbeit
- Gemeinsame Lektüre und Diskussion ausgewählter Texte
- Präsentation des eigenen Dissertationsprojekts (inklusive Handout):
Konzept (Anliegen, Vorgehen: Ansatz & Anlage), Arbeitsplan, Zeitplan
- Stellungnahme/n zu den anderen vorgestellten Dissertationsprojekten

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Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

Erfüllung aller definierten Teilleistungen (Anteile an der Beurteilung in Prozentangaben):

- Anwesenheit (25%-Fehlstundenregel!)

- engagierte Mitarbeit (Querschnittsmaterie): sowohl schriftliche als auch mündliche Aufgabenstellungen -
- Gemeinsame Lektüre und Diskussion ausgewählter Texte (50%)
- Präsentation des eigenen Dissertationsprojekts (inklusive Handout):
Konzept (Anliegen, Vorgehen: Ansatz & Anlage), Arbeitsplan, Zeitplan (30%)
- Stellungnahme/n zu den anderen vorgestellten Dissertationsprojekten (20%)

Prüfungsstoff

Engagierte Auseinandersetzung mit den Themenstoffen

Literatur

Achebe, Chinua. 1990 [1974/75]. Colonialist Criticism. In: Hopes and Impediments. Selected Essays. New York: Anchor Books, 68-90.
Adeleke, Tunde/ Sonderegger, Arno (Hg., 2022): Africa and Its Historical and Contemporary Diasporas. Lanham u.a.: Lexington.
Appiah, Kwame Anthony. 2014. Lines of Descent. W.E.B. Du Bois and the Emergence of Identity. Cambridge/Mass., London: Harvard University Press.
Césaire, Aimé. 2000 [1955]. Discourse on Colonialism. New York: Monthly Review Press.
Cooper, Frederick. 2005. Colonialism in Question. Theory, Knowledge, History. Berkeley u.a.: University of California Press.
DuBois, W.E.B. 2008 [1903]. Die Seelen der Schwarzen / The Souls of Black Folk. Freiburg: orange-press.
Fanon, Frantz. 1981 [1961]. Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Mbembe, Achille. 2014 [2013]. Kritik der schwarzen Vernunft. Berlin: Suhrkamp.
Memmi, Albert. 1994 [1955/56, 1966]. Der Kolonisator und der Kolonisierte. Zwei Porträts. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt.
Nkrumah, Kwame. 1971 [1965]. Neo-Colonialism. The Last Stage of Imperialism. London: Panaf.
Osterhammel, Jürgen. 1995. Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. München: C.H. Beck.
Padmore, George. 1969 [1936]. How Britain Rules Africa. New York: Negro Universities Press.
Padmore, George. 1972 [1937]. Africa and World Peace. London: Frank Cass.
Rodney, Walter. 2022. Decolonial Marxism: Essays from the Pan-African Revolution. London, New York: Verso.
Sarr, Felwine. 2020 [2016]. Afrotopia. Bonn. Bundeszentrale für politische Bildung.
Sonderegger, Arno. 2021. Africanus Horton. West African Countries and Peoples, British and Native (1868). In: Brocker, Manfred (Hg.): Geschichte des politischen Denkens. Das 19. Jahrhundert. Berlin: Suhrkamp, 547-560.
Sonderegger, Arno. 2021. Afrika und die Welt. Globalgeschichtliche Betrachtungen zur Geschichte Afrikas in der Neuzeit. Wiesbaden: S. Marix [Taschenbuchausgaben: 2022, Wiesbaden: Landeszentralen für politische Bildung; 2023, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung bpb].
Taiwo, Olufemi. 2022. Against Decolonisation. Taking African Agency Seriously. London: Hurst.
wa Thiong`o, Ngugi. 1986. Decolonising the Mind: The Politics of Language in African Literature. London: Heinemann.
wa Thiong`o, Ngugi. 2009. Something Torn and New. An African Renaissance. New York: Basic Civitas Books.
Young, Robert J.C. 2004. Postcolonialism. An Historical Introduction. Malden u.a.: Blackwell.

Zuordnung im Vorlesungsverzeichnis

Letzte Änderung: Di 03.10.2023 10:08